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Zynismus pur

„Wir wollen nicht, dass die Ärzte über Leben und Tod entscheiden müssen. Darüber, wer beatmet wird und wer nicht.“ 

Diesen Satz habe ich in letzter Zeit sehr oft von Politikern gehört. Nicht nur von ihnen, aber meistens von ihnen. Mit diesen Worten zum Beispiel argumentieren sie, wenn es darum geht, zu beantworten, warum die Kontaktbeschränkungen nur nach und nach gelockert werden. Und im Grunde stimme ich da auch zu. 

Allerdings frage ich mich: Wird diese Entscheidung nicht bereits hundert- und tausendfach getroffen? Wenn die Therapie von Krebspatienten beispielsweise verschoben werden muss? Um Kapazitäten zu schaffen und freizuhalten für potenzielle Patienten mit schweren Covid-19-Verläufen? Bis auf Weiteres, wie es dann immer heißt? 

Man muss wohl kein Onkologe sein, um zu wissen, dass es für viele Krebspatienten dann zu spät sein wird. 

Ich stelle mir vor: Es muss zynisch klingen in den Ohren dieser Patienten und ihrer Ärzte, wenn es von Politikerseite heißt: Wir wollen nicht, dass Ärzte eines Tages entscheiden müssen, wer beatmet wird und wer nicht. Oder eben mit anderen Worten: Wer die Chance hat zu überleben und wer nicht. Menschen, die de facto bereits aktuell an einer tödlichen Krankheit leiden, müssen als Konsequenz dieser Logik quasi Platz machen für Menschen, die eventuell an einer tödlichen Krankheit leiden werden.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Jeder und jede Corona-Tote ist einer und eine zuviel. Aber ist das Leben von Menschen mit potenziell schwerem Verlauf von Covid-19 mehr wert als das von Menschen mit anderen tödlichen Krankheiten? Die Antwort ist klar: Nein, ist es nicht. Und darüber ist auch nicht zu diskutieren. Aber die Frage zeigt, wie schnell man bei diesem Thema in ethische Grenzbereiche kommt.

Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Ich befürchte nein. Zumindest keinen schnellen und schon gar keinen leichten. Das Leben aller Menschen ist gleich viel wert. Unabhängig von allem. Auch davon, an welcher Krankheit man leidet. 

Aber wer sich das bewusst macht, der oder die kann nicht mehr mit dem Argument kommen: Wir wollen nicht, dass Ärzte irgendwann entscheiden müssen, wer überleben kann und wer nicht. Das verbietet sich. Es ist Zynismus pur.