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Zeitansage

„Alles zu jeder Zeit, an jedem Ort und um jeden Preis“ – das ist die Devise, nach der unsere Gesellschaft zu funktionieren scheint: Emails lesen und schreiben, Geschäfte erledigen, organisieren, einkaufen- all das und noch einiges mehr ist von überall aus und zu jeder Zeit möglich.  Vielen Menschen ist das mittlerweile zu viel. Sie beklagen, dass ihnen die Zeit abhanden gekommen ist. Dass vor lauter Tun und Machen am Ende kaum noch Zeit für sie persönlich vorhanden ist.

Deswegen möchte ich jetzt – im wahrsten Sinne des Wortes – eine Zeit-Ansage machen; wenn auch eine ganz andere als die, die Sie gleich im Anschluss zu Beginn der Nachrichten hören werden.

Auf den ersten, oberflächlichen Blick ist Zeit schlicht und ergreifend etwas, das sich in Stunden, Minuten und Sekunden messen lässt. Und in diesem Sinn ist Zeit – nicht erst seit heute – Geld. So diktiert es uns das Gesetz des Marktes. Und all das, was uns Zeit sparen und so beim Geldverdienen helfen soll – der Computer zum Beispiel – führt in Wahrheit nur zu noch mehr Druck. Mit seiner Hilfe nämlich soll lediglich Zeit gewonnen werden um diese dann direkt wieder einzusetzen, um noch mehr Geld zu verdienen. Eine Spirale ohne Ende! Und wenn wir uns mal eine Auszeit nehmen, am Wochenende oder demnächst in den saarländischen Schulferien, endet das oft genug in Freizeit-Stress und selbstgemachtem Zeitdruck.

Aus diesem Grund ist es wichtig, zu erkennen, was Zeit auf den zweiten Blick ist: Zeit ist etwas, das mit Inhalt gefüllt werden kann und muss. In diesem Sinn umfasst Zeit Gott und die Welt, unser Leben und Sterben, den Lauf der Geschichte und der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunftsereignissen.

Um unsere Zeit mit Inhalt zu füllen, reicht es allerdings nicht aus, sich selbst und sein Leben bloß zu entschleunigen – so wie es seit Jahren immer wieder gefordert wird.  Denn durch Entschleunigung werden wir noch nicht frei von der Abhängigkeit, ja von der Tyrannei unseres oberflächlichen Zeitverständnisses, das inzwischen alle Lebensbereiche infiziert hat, wonach Zeit immer weniger wird, aber nicht anders.

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit geht es vielmehr um eine Neuorientierung; um die Frage, was unserer Seele und unserem Körper wirklich gut tut. Zeit ist ja nicht gleich Zeit. Es gibt Stunden, die uns flüchtig erscheinen und es gibt Augenblicke, denen wir Ewigkeit wünschen. Und bei alledem gilt das, was der biblische Prediger Salomo über die Zeit schreibt. „Alles hat seine Zeit.“ Lachen hat seine Zeit, Weinen hat seine Zeit. Lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit. Trauern hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit. Reden hat seine Zeit, schweigen hat seine Zeit“ undsoweiter. Der Prediger meint hier nicht nur messbare Zeit, sondern auch menschliche Zeit mit besonderer Lebensqualität, die ihrem eigenen Rhythmus folgt. Die Zeit scheint immer fortzuschreiten, aber unser Leben läuft unaufhaltsam auf sein Ende zu. Deshalb ist es wichtig, das Zeitliche bereits zu Lebzeiten zu segnen, denn unsere Zeit liegt in Gottes Händen, wie es in Psalm 31 heißt.

In diesen biblischen Worten berühren sich Himmel und Erde, in ihnen wird unsere Endlichkeit akzeptiert, weil unsere Zeit nicht unser Besitz ist. Das kann uns wieder gelassener machen im Umgang mit unserer Zeit. Das lässt uns vielleicht entdecken, dass wir mehr Zeit brauchen zum Lachen und Weinen, zum Trauern und Tanzen, Reden und Schweigen, Lieben und Hassen; Zeit nicht nur für andere, sondern auch für uns selbst. Dann brauchen wir auch nicht mehr vor uns selber zu flüchten.

Unser Leben findet jetzt statt. Nicht nur demnächst und irgendwann, nicht erst auf der Arbeit und auch nicht nur in der Urlaubszeit. Der Barockdichter Andreas Gryphius bringt es sehr schön, auf den Punkt, wenn er schreibt:

„Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen;

Mein sind die Tage nicht, die etwa möchten kommen.

Der Augenblick ist mein und nehm ich den in acht

So ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.“

Nun ist meine Sende-Zeit auch vorbei!