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Zeit und Eile

Als Gott die Welt schuf, gab er den Afrikanern die Zeit und den Europäern die Uhr. In diesem afrikanischen Sprichwort sehen sich die Afrikaner auf der besseren Seite. Man sieht, wie weit sie damit kommen, sagen Europäer. Aber so einfach ist es wohl nicht. Erstens: Auch in Europa ist es noch nicht lange so, dass jeder eine Uhr hat. Zweitens: Sie zu haben, heißt nicht, sich völlig ihrem Diktat auszuliefern. Und drittens: Selbst das muss nicht unausweichlich heißen, sich in immer größere Hetze hineinzusteigern.

Was kann die arme Uhr für unseren Lebensstil? Dafür, dass viele nicht abschalten und das Tempo drosseln können. Nicht mal im Urlaub. Junge Menschen verstehen vielleicht gar nicht, wovon ich rede; sie kennen es nicht anders. Ich habe meine Oma auch nicht verstanden, wenn sie in meiner Jugend über die Hetze jammerte, wo es doch in ihrer Jugend viel gemütlicher war.

Aber schon vor hundert Jahren sang Otto Reutter im Kabarett: „Wir leben in’ner eiligen, hastigen Zeit mit der Uhr in der Hand“ oder etwas später „Ich kann das Tempo nicht vertragen“. Ist das also ein alter Hut? Käfighamster brauchen ihr Laufrad. Sie treten und kommen nicht von der Stelle, auch nicht, wenn sie die Laufrichtung ändern. Menschen müssen raus aus der Tretmühle. Freizeitstress nach dem Strampeln im Beruf heißt nur, von einem Rad ins nächste zu wechseln. Bremsen mit Bleifuß auf dem Gas würde man einem Auto nicht zumuten. Wie viel wertvoller ist ein Mensch! Jedes Ding hat seine Zeit, heißt es im Buch des Predigers im Alten Testament. Also ganz bestimmt auch die Ruhe, selbst wenn’s schwer fällt.

Ich wünsche Ihnen einen geruhsamen, aber nicht langweiligen Sonntag.