zagrawa heißt Himmelsglühen
In einem Magazinartikel der Zeit stieß ich auf das vieldeutige ukrainische Wort zagrawa. Es bedeutet Himmelsglühen, Erleuchtung oder Funken am Himmel – alles in einem Wort, wie faszinierend. Zuerst habe ich gestaunt, dann aber mich geschämt, denn: schließlich ist das Himmelsglühen am ukrainischen Himmel nicht gerade verheißungsvoll in dieser Kriegszeit. Wahrscheinlich ist zagrawa schneller erkennbar als der Alarm: zuerst glüht es, funkt es am Himmel und dann ertönt die Warnung, möglichst sicheren Schutz zu suchen, sofern das in dem kriegsgebeutelten Land noch möglich ist. Wie sehr mögen sich Kinder, Frauen und Männer, die Alten und die Jungen dort nach friedlichem Leuchten, nach sanftem Abendglühen sehnen. In solches Abendrot, das den Himmel erleuchtet und manchmal mich lege ich so gern all meine Sehnsucht nach Ferne und Stille hinein: zagrawa – wie schön und sehnsuchtsvoll könnte das sein. Und daneben auch wie vielversprechend: Erleuchtende Funken oder stilles Glühen am Himmel: wie wichtig wäre solche Erleuchtung für uns Menschen überhaupt, um endlich – in Gottes Namen – den Frieden besser zu lernen als den Krieg!
Und beten möchte ich:
Zagrawa, Gott, du bist doch unser Schöpfer,
der auch den Himmel zum Glühen bringt:
Lass uns doch Deine Erleuchtung zuteilwerden
– überall auf unserer tief erschütterten Erde!
Gottes Geheimnis des erleuchtenden Geistes ist mindestens so groß wie das vieldeutige Wort zagrawa: Der Geist, der Menschen verschiedenster Sprachen sich verstehen lässt, weil die Liebe größer ist als alle Unterschiedlichkeiten. Das war der Ursprung des christlichen Pfingstfestes: Das Himmelsglühen, das einst den Jüngern wie Feuerflammen erschien und ihre Münder übersprudeln ließ von all dem, was ihre Herzen erfüllte. Nicht immer eindeutig zu verstehen – Gottes Geist genauso wenig wie das Himmelsleuchten – zagrawa: Mich fasziniert dieser vieldeutige Begriff, obwohl oder vielleicht gerade, weil ich kein Ukrainisch kann.
Dieses fremde Wort inspiriert, mir Gottes Geist der Liebe sanft und mächtig, leuchtend und glühend vorzustellen, auf alle Fälle wirkmächtig und verbindend. Tatsächlich wünsche ich mir solch wirkmächtig leuchtende Liebe für die ganze Erde, obwohl auch ich sie im Alltag viel unscheinbarer und manchmal nur glimmend statt glühend erfahre oder weiterzugeben in der Lage bin.
Mir ist ein Gebet von Kurt Marti eingefallen. Ich werde es fortan mit jedem Himmelsglühen verbinden. Denn Kurt Marti ruft darin den an, der uns unter der Weite des Himmels verbindet. Unter der Weite des Himmels verbunden sein: egal, ob wir stiller werden können im abendroten Himmel oder durch zagrawa aufgeschreckt den nächsten Angriff befürchten müssen. Keine Bedeutung des schönen Wortes zagrawa kann mich gleichgültig lassen. Denn der Geist des Herrn erfüllt das All und leuchtet am Weltenhimmel weit auf, um unsere Herzen zu erreichen:
Der Einstieg, der Ausstieg, von Kurt Marti
Gott, der Du einstiegst in die Miseren der Welt,
der Du ausstiegst aus dem Zirkel von Verblendung, Gewalt und Zerstörung:
erleuchte uns, bevor wir zerstrahlt sind!
Erbarme Dich, damit die Erde und wir und die nach uns nicht unwiderruflich
eigener Gier und Erbarmungslosigkeit zum Opfer fallen.
Unbeirrbarer, stecke uns an mit Deiner Leidenschaft für das Leben!
Auch wenn ich nicht weiß, ob das alles auch in zagrawa steckt, so wünsche ich es doch: Möge Sie und mich, möge uns alle das Glühen des Himmels erleuchten!