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„Wer nicht fragt!“ (Joh. 3)

„Der, die, das! Wer, wie, was?“ Die Sesamstraße ist fünfzig Jahre alt geworden. Ich bekenne mich als Fan der allerersten Folgen. Als ich eingeschult wurde, beschwerte sich die Klassen­lehrerin bei meiner Mutter. „Wieso haben Sie mit ihrem Kind schon lesen geübt.“ Dabei hatte ich nur Sesamstraße geschaut und aus Neugier angefangen, bei Autofahrten die Schil­der am Straßenrand zu lesen.

Lernen aus eigener Neugier! Ist das nicht das schönste Lernen? Was man verstanden hat, passt wie ein Puzzlestein ins Bekannte. Das Neue bleibt im Herzen hängen. Es verändert Denken und Handeln. Nicht aufhören mit der Neugier, darum geht‘s. Gerade dann, wenn die eigene Vorschulzeit immer länger zurückliegt.

Nikodemus ist so ein Beispiel. Nikodemus, der große Lernende aus dem Johannesevange­lium. Die Bibel beschreibt Nikodemus als einen „Pharisäer und Obersten der Juden“. Nikodemus ist also weder jung noch ungebildet. Und er verfügt über eine gewisse Macht. Trotzdem sucht er den Kontakt zu Jesus, um zu lernen. Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt… ge­nau!

Dumm bleiben will Nikodemus nicht. „Bei Nacht“ heißt es, geht er zu Jesus. Hat er Angst, gesehen zu werden? Nikodemus will Licht in sein inneres Dunkel bringen. Und so spricht er Jesus an: „Rabbi“, sagt er, „wir wis­sen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen, denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.“ Zugegeben, das ist keine Frage, sondern eine Schmeiche­lei. Doch über alle Anbiederung hinweg finden die beiden schnell in ein ernsthaftes Gespräch über das Reich Gottes.

Für Jesus sind die Zeichen, die er tut, Boten dieses Gottesreiches. Gott wird die Welt verändern, in Nächstenliebe und Gerechtigkeit. Und, wo Jesus heilt und pre­digt, da ist diese wunderbare Veränderung schon unterwegs. Wer aber nicht von neuem geboren wird, wird Gottes Reich nicht erleben, und damit auch nicht verstehen, „wer, wie, was?“ es mit Jesus auf sich hat.

Nikodemus hakt nach: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?“

Die Frage erscheint äußerlich und dumm. Will Nikodemus das ‚Neu-geboren-Werden‘ biologisch deuten? Aber Jesus nimmt seine naive Neugier ernst. Es geht beim Gottesreich um einen Neuanfang im Herzen. Es geht um Taufe und Erkenntnis, oder, wie er sagt: geboren werden „aus Wasser und Geist“.

Nikodemus soll sich aufmachen, diese neue Wirklichkeit zu entdecken. Eine Wirklichkeit, die man sich nur glaubend erschließt. Der Glaube aber ist wie ein neues Alphabet, dessen Buchstaben und Worte man am Anfang kaum kennt. Wer im Johannesevangelium weiterliest, wird merken, dass ab diesem Moment nur noch Jesus spricht. Nikodemus kommt nicht mehr zu Wort. Hat er aufgegeben? Ist er still gegan­gen, während Jesus spricht? Nein!

Viel später, im weiteren Verlauf des Evangeliums, taucht Nikodemus wieder auf. Und dann ergreift er öffentlich Partei für Jesus. Offensichtlich hat die nächtliche Begegnung Ein­druck bei ihm hinterlassen. Und als Jesus schließlich gekreuzigt ist, soll es Nikodemus sein, der für den Leichnam Salböl kauft, für unfassbar viel Geld.

Hat Nikodemus Jesus nun verstanden? Oder hat er ihn gerade nicht verstanden, dass er sein ganzes Geld für Äußerlichkeiten wie Salböl ausgibt? Egal! Ihn hat das Reich Gottes schon bewegt, und ein wenig neu geboren.

Ich habe als Kind auch nicht verstanden, warum über den Ausgangstüren in der Sesamstraße immer wieder so ein grünes Schild auftauchte, auf dem „Exit“ stand. „Exit“, was soll das heißen? Manche Dinge erschließen sich eben erst im Laufe des Lebens. Nicht aufhören mit der Neugier, darum geht’s, im Leben wie beim Gottesreich.