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Wenn du geschwiegen hättest

„Erkennst du nun, dass ich ein Philosoph bin?“, hatte einer seiner Schüler den antiken Philosophen Boethius gefragt. Dessen Antwort: „Wenn du geschwiegen hättest!“

In einer am vergangenen Freitag veröffentlichten Folge seines Podcasts mit Markus Lanz schwadronierte der Philosoph Richard David Precht, von Fachkenntnis offensichtlich völlig unbeleckt, über das orthodoxe Judentum. Ihre Religion verbiete es orthodoxen Juden, zu arbeiten. Zitat: „Ein paar Sachen wie Diamanthandel und ein paar Finanzgeschäfte ausgenommen.“ Zitat Ende.

Nach Protesten jüdischer Verbände hat das ZDF die entsprechende Passage aus dem Podcast entfernt und bedauert, „dass komplexe Zusammenhänge verkürzt dargestellt (wurden), was missverständlich interpretiert werden konnte.“

Nein!, ZDF, da ist nichts missverständlich. Diese Aussage des Philosophen Precht ist an antisemitischer Klarheit nicht zu überbieten. Völlig eindeutig wird hier das Klischee vom raffgierigen Juden und vom internationalen Finanzjudentum bedient, mit dem übrigens schon immer Gewalt gegen Juden gerechtfertigt wurde. Precht beteuert, kein Antisemit zu sein. Das glaube ich ihm auch. Andererseits: So ein Satz, wie der von Precht, kann einem Philosophen auch nicht einfach „passieren“.

Schon gar nicht eine knappe Woche nach dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel. Nicht nach einer Woche, in der alle Antisemiten der Welt die Schuld für den unmenschlichen Terror der Hamas letztlich eben doch bei Israel selbst sehen. Nicht nach einer Woche, in der in Berlin Häuser, in denen Juden leben, mit dem Davidsstern gekennzeichnet wurden. Unterdessen gab es in Berlin, und das war furchtbarerweise fast schon zu erwarten, einen Brandanschlag auf ein jüdisches Gemeindehaus. Die Polizei berichtet von einer massiven Zunahme antisemitischer Straftaten.

Nein, einem Philosophen passiert so ein Satz nicht einfach. Ich frage weiter: Warum hat der Moderator Markus Lanz nicht reagiert? Warum brauchte es Proteste, bevor das ZDF die antisemitische Passage gelöscht hat? Wenn es um Rassismus geht, sind wir unterdessen hoch sensibel. Selbst Kinderbücher werden mit Warnhinweisen versehen. Aber für Antisemitismus haben wir offenbar nach wie vor kein Gespür.

Das zeigt nicht zuletzt die Entschuldigung für seine Äußerung, zu der sich Richard David Precht inzwischen durchgerungen hat. Inhaltlich hat er sich korrigiert. Außerdem wolle er sich bei „allen entschuldigen, die darin etwas Antisemitisches gesehen haben“. Nein, Herr Precht, noch einmal, das Problem ist nicht, dass Ihre Äußerung als antisemitisch missverstanden wurde. Das Problem ist, dass sie antisemitisch war. Ein Philosoph sollte das erkennen.

Ach, Richard David Precht, wenn du geschwiegen hättest.

 

Der Link zur Mediathek: https://www.sr-mediathek.de/index.php?seite=7&id=133012