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Wasser des Lebens

„Wenn die einfach das Haus für unbewohnbar erklären, dann weiß ich nicht wohin. Dann wohne ich wieder im Auto, das mein Sohn mir mal gegeben hae, in der alten Kiste. Wissen Sie, das Auto brauche ich ja ohnehin. Darauf kann ich nicht verzichten, denn ich kann ja nicht weit laufen, wegen der Luft.“ Vor Aufregung ist der alte Mann völlig außer Atem, aber es platzt einfach aus ihm heraus. „Was für Aussichten am Anfang des Jahres?!“, denke ich und habe gleichzeitig Jesu Versprechen im Kopf:

„Ich will den Durstigen geben von der Quelle lebendigen Wassers umsonst.“

„Für die Eltern ist der Familiennachzug erlaubt“, erklären Sie dem syrischen Familienvater und mir bezüglich seiner Pflegetochter, „aber nicht für die Geschwister. Da müssen Sie Bürgschaften bringen. Sie wissen ja, mit drei Geschwisterkindern liegt der monatliche Regelbedarf schon mindestens 1.500€.“ Ich traue meinen Ohren nicht. Klar, mit Kindern kann noch mehr Unerwartetes geschehen und der Staat springt da dann gar nicht ein. Als ich dem Mädchen aus Damaskus erklären muss, dass es noch länger als ohne Eltern und Geschwister hier wird leben müssen, sackt es ohnmächtig vor mir zusammen. Solche Schicksale verbergen sich hinter der politischen Streitfrage um den uneingeschränkten oder begrenzten Familiennachzug.

„Ich will den Durstigen geben von der Quelle lebendigen Wassers umsonst.“

Allein die eben genannten zwei Beispiele prägen mir wieder einmal ein, dass der Glaube an Gott mich nicht befreit von den Alltagssorgen. Aber er bewirkt, dass ich nicht unberührt bleibe, wenn ich die mir anvertrauten Menschen ernst nehme. Ich werde zu einer Bittenden und Betenden. „Gib doch, Jesus! Gib dem alten Mann und dem Mädchen von dem lebendigen Wasser!“, flehe ich innerlich. Ich weiß: Es ist so notwendig, Quellen des Lebens für alle zugänglich zu machen. Und: Ich kann mich nicht damit abfinden, dass für Geld scheinbar alles zu bekommen ist!

„Ich will den Durstigen geben von der Quelle lebendigen Wassers umsonst.“

In dieser so leicht klingender Verheißung steckt auch: Jesus kennt den Durst nach Leben und das Leiden an Ungerechtigkeit in unserer Welt. Jesus gibt, aber er macht damit nicht frei von Verantwortung. Sein lebendiges Wasser macht mich stark, so dass ich mich mit berührtem Herzen den Notwendigkeiten und Möglichkeiten meiner Welt stellen kann. Es ist der Glaube an einen gerechten und liebevollen Gott, der mich erst recht vor die Herausforderung stellt, das eigene Schicksal oder das der Menschen um mich herum nicht spurlos vorbeizuwünschen. Auch wenn ich mich lieber in irgendeiner heilen Ecke gemütlich einrichten würde. Es ist der Weg Jesu, der mir die Quelle lebendigen Wassers eröffnet: Er ist nicht ausgewichen. Er hat mit den Weinenden geweint und sich mit Fröhlichen gefreut und hat den Menschen genau auf solch solidarische Weise die Vollmacht Gottes offenbart. Jesus hat Menschen ermutigt, laut zu sein und Dinge zu verändern, wo Ungerechtigkeit zum Himmel geschrien hat: Es ist in Jesu Namen doch möglich, umzukehren und im Licht der Gnade Gottes mutig und entschieden zu leben oder auch um Lebensmöglichkeiten zu kämpfen, wenn es nötig ist.

„Ich will den Durstigen geben von der Quelle lebendigen Wassers umsonst.“

Als ich den alten Mann erneut besuche, treffe ich ihn mit seinem Sohn vor seinem Haus. Zu zweit reparieren sie gerade die Eingangstür. Wir gehen hinein und besprechen  in aller Ruhe, was neben einer neuen Tür noch alles erforderlich ist, damit er mit seiner kranken Lunge im Haus bleiben kann.

Mit dem syrischen Familienvater und seinen Angehörigen fahre ich nochmal aufs Ausländeramt. Alle zusammen wollen wir dort erklären, warum die Pflegetochter nicht ohne seine kleinen Schwestern leben kann. Hoffentlich trägt das dazu bei, alle Betroffenen an die Quelle des lebendigen Wassers zu führen.

Ich glaube, Jesus stellt mich an diese Quelle, damit ich mutig bin und auch für andere an dem Glauben festhalte, dass Liebe und Gerechtigkeit möglich sind. Bitte Jesus, gib mir immer wieder von diesem lebendigen Wasser!