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Wann schreiben wir die Bibel um?

Es ist gut, dass in diesen Wochen viel über Rassismus diskutiert wird. Es ist gut, dass die Stimmen der Menschen lauter werden, die viel zu oft und viel zu lange schon herunterschlucken mussten, was ihnen an Herabwürdigung zugemutet wird.

Darüber denke ich nach, als ich beim Bummeln durch das schweizerische Städtchen Stein am Rhein die kunstvoll bemalten historischen Fassaden bewundere – und auch hier die Zeugnisse der kolonialen Vergangenheit Europas finde: Darstellungen schwarzer Menschen, die ihren Herren Luft zufächeln, eine Mohren-Apotheke mit entsprechender Bebilderung. Auch Schweizer Kaufleute waren am skrupellosen Dreieckshandel beteiligt: Sie finanzierten Schiffe, die Sklaven aus Afrika auf die Plantagen nach Amerika brachten, Baumwolle nach Europa mitnahmen und Schweizer Textilien nach Afrika lieferten. Die historischen Häuserfassaden muss man sicher nicht übermalen, aber man könnte an geeigneter Stelle Erklärungen anbringen.

Ich schlage meine Tageszeitung auf und entdecke einen Leserbrief unter der Überschrift „Wann schreiben wir die Bibel um?“ Herr B., bekennender Christ, bekundet sein Unverständnis darüber, dass schwarze Menschen nicht als Mohren bezeichnet werden wollen. Er bringt seine Sorge auf den Punkt: „Die Tatsache, dass einer der heiligen drei Könige ein Mohr war, lässt befürchten, dass wir bald die Bibel umschreiben müssen.“

In diesem Satz stecken mindestens drei Fehler. Erstens: Es ist keineswegs erwiesen, dass es Könige waren, die zum Stall von Bethlehem gekommen sind. Unterschiedliche Bibelübersetzungen sprechen von Königen, Weisen oder Magiern. Zweitens: Ebenso wenig gesichert ist, dass einer von ihnen schwarz war. Die Bibel sagt dazu gar nichts.  Drittens: Falls also Könige, Weise oder Magier nach Jesu Geburt angereist sind und einer von ihnen dunkelhäutig gewesen sein sollte, dann sollte er heute in der Tat nicht mehr als Mohr bezeichnet werden. Denn das Wort Mohr entstammt einer kolonial-rassistischen Denk- und Sprechweise und hat in unserer Welt nichts mehr zu suchen.

Es geht einerseits auf das griechische „moros“ zurück, das „einfältig“ oder auch „gottlos“ bedeutet, andererseits auf das lateinische „maurus“: „schwarz“, „dunkel“ oder „afrikanisch“. Im Mittelalter wurden als „moros“ muslimische Menschen Nordafrikas bezeichnet, die als Inkarnation des Anti-Christen gesehen wurden.

Ich kann Herrn B., dem Leserbriefschreiber, nur recht geben, wenn er befürchtet, dass die Bibel an manchen Stellen umgeschrieben, das heißt anders übersetzt werden muss. Ja, sie muss! So wie immer wieder Bibelübersetzungen revidiert wurden, weil neue Erkenntnisse vorlagen, oder weil man kritischer auf Machtverhältnisse geblickt hat.

In der Lutherbibel findet man das Wort „Mohr“ noch an einer Stelle. Beim Propheten Jeremia heißt es: „Kann etwa ein Mohr seine Haut wandeln oder ein Panther seine Flecken?“ (Jer 13,23). Im Original ist die Rede von einem „Menschen aus Kusch“, einer Region in Ostafrika. Andere Bibelübersetzungen sprechen hier von einem dunkelhäutigen Menschen oder einem Menschen aus Kusch. Das sind gute Alternativen. Bei der Revision der Lutherbibel 2017 ist die Chance auf eine Neuübersetzung dieser Stelle verpasst worden.

Herrn B. möchte ich einladen, die Bibel mit anderen Augen zu lesen: nämlich auf ihren Anspruch nach Befreiung und Gerechtigkeit hin. Und sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass nicht der Untergang des Abendlandes droht, wenn sich Sprachgebrauch und Übersetzungen weiterentwickeln. Auch für den Umgang mit der Bibel gilt schließlich: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.