Von Erwartungen und vom Erwarten
Es ist Advent geworden. Die Lichterketten an den Häusern zeugen vom Wunsch nach Geborgenheit – nach einer Atempause. Für Christinnen und Christen ist der Advent eine stille Zeit der Erwartung. Aber sind es in diesem Jahr nicht auch die hohen Erwartungen aneinander, die uns alle Ruhe rauben?
Viele haben wochenlang erwartet, dass endlich schärfere Corona-Maßnahmen ergriffen würden. Manche erwarten deutlich mehr als nun beschlossen ist. Die Geimpften erwarten von den Ungeimpften, ihr Zögern endlich aufzugeben, angesichts der Not auf den Intensivstationen. Impfskeptiker erwarten umgekehrt, dass man ihre Freiheit respektiert. Viele Eltern erwarten eine rasche Empfehlung zur Impfung für die Kleinen, während die Welt von der Wissenschaft erwartet zu erfahren, wie gefährlich die neue Omicron-Variante noch werden könnte.
Es ist Advent geworden und mir erscheint die Geduld vieler nahezu aufgebraucht. Zermürbt von der Bedrohung für Gesundheit oder Existenz. Aufgebraucht aber auch von unerfüllten Erwartungen an die Anderen. So aufgebraucht, dass keine Lichterkette der Welt die Sehnsucht nach einer Atempause stillen kann. Also: Was können wir erwarten in diesen Tagen?
Christinnen und Christen erwarten im Advent die Ankunft Jesu. Der Advent erinnert einerseits an einen Menschen, der in aussichtsloser Zeit von Gottes Dasein zeugte. Und zugleich bedeutet der Advent die Erwartung, dass Gott die Welt nicht allein sich selbst überlassen wird. Licht der Welt, das in der Finsternis scheint, so hat die Bibel Christus genannt. „In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.“ Wenn ich nicht die Ankunft Jesu erwarten würde – dann wären für mich alle Lichterketten vor den Fenstern nur Leuchtdioden. Sie müssen sich erst in den Augen eines Menschen spiegeln, um das Herz zu wärmen.
Darum will ich in Erwartung leben. Aber ganz bestimmt nicht, um die Realität zu überspringen. Im Gegenteil! Gerade weil das Virus nicht einfach so verschwindet, gerade weil die Anstrengung aller nötig ist, um Not und Sterben zu verhindern, gerade weil ich noch unfassbar viel Geduld brauchen werde, erwarte ich, dass mir Gott entgegenkommt.
Ich wünsche mir Kraft zwischen falschen Erwartungen und begründeter Hoffnung zu unterscheiden. Ich freue mich über jeden adventlichen Moment der Atempause, der mir hilft, von mir und von den anderen nicht zu viel zu erwarten. Und von Gott nicht zu wenig.
Kommen Sie behütet durch den Advent!
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