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Von der „Weihnachtsfreude“

Zu Weihnachten könnten die Gegensätze nicht größer sein: Die einen freuen sich auf die Festtage im Kreise ihrer Lieben, die anderen, wie im Ahrtal, deren Häuser unbewohnbar sind, wissen noch nicht wohin.  Und Obdachlose, Bedürftige und Alleinlebende leiden darunter, dass Hilfseinrichtungen ihre Angebote wegen Corona wohl einschränken müssen!

So denken manche unter uns wohl lieber an bessere Weihnachtszeiten zurück, weil so viele Lebenserinnerungen damit verbunden sind und so viele gute Stunden, trotz allem Kitsch und Kommerz. Aber da sind natürlich auch die anderen, traurigen Erfahrungen: so erinnere ich mich an das Schreiben des Deutschen Roten Kreuzes, dass der Suchdienst nach den Toten und Vermissten des 2. Weltkrieges,  zu denen auch mein Vater gehört, zum Ende dieses Jahres endgültig eingestellt wird!

Schon vor 50 Jahren hatte das Deutsche Rote Kreuz mir mitgeteilt, Zitat: „dass Adolf Klein zu denen gehört, deren Schicksal ungeklärt ist, die verschollen sind und zu den Opfern des 2. Weltkrieges gezählt werden müssen.“ Zitat Ende. Er sei wohl im Sommer 1944 bei Rückzugsgefechten im Raum Bobruisk (heute Belarus!) gefallen!

Jetzt, kurz vor Weihnachten, erinnere ich mich besonders an seine Feldpostbriefe, die er in der Weihnachtszeit 1941 geschrieben hat. Das war vor 80 Jahren genau die Zeit, in der der Vormarsch der Wehrmacht vor Moskau endgültig gestoppt wurde! Mein Vater schreibt am 10. 12. 1941 an meine Mutter:

„Mit der Ruhe ist es jetzt vorbei, wir haben heftige, erbitterte Kämpfe bei  -20 Grad zu bestehen und hoffen auf Verstärkung. Ich kann Dir deshalb jetzt keinen längeren Weihnachtsbrief schreiben. Einen Wunsch habe ich noch: zu Weihnachten ein schönes großes Bild von Dir, mein Liebes! Dann denke ich an Dich, wenn ich da draußen bei Schnee und Eiseskälte die kurzen Tage verbringen muss.“

Am 12. 12. lese ich:

„Ein neues Sterben beginnt nun wieder, und so mancher Soldat, der jetzt noch lacht, wird in einigen Tagen schon verblichen sein.“ Und nach Weihnachten, am 27. 12. schreibt er:  „Hl. Abend haben wir bei mehr als -30 Grad Kälte in einem großen, unbewohnten Raum verbracht. Wir haben nun einen Rückzug machen müssen von 80 – 100 km, Tage voller Strapazen und Elend!“

Ich frage mich heute: wie hat dazu die Weihnachtsbotschaft von der großen Freude, die allen Menschen widerfahren soll, gepasst? War das für meinen Vater damals, und ist das auch angesichts der heutigen leidvollen Erfahrungen von Krieg und Terror, Flüchtlingselend und Pandemie mehr als Zynismus, billiger Trost oder naiver Glaube? Ich meine ja: denn Weihnachten ist keine Idylle, das ist Himmel und Hölle, das ist der Gott der kleinen Leute, der Armen und Vergessenen, in dem ich das Fragment eines viel zu kurzen, abgebrochen- en Lebens zwischen Geburt und schmerzlich frühem, gewaltsamen Tod sehe! Aber ich glaube als Christ: Erst wenn wir uns ganz tief zu unseren Nächsten bücken, sind wir auf Augenhöhe mit diesem Gott in all unserem Elend.   So hat auch mein Vater sein Leben mit nur 25 Jahren verloren. Da gibt es nichts zu verklären oder zu schön zu reden. Für mich ist das eine offene Wunde – auch noch nach 77 Jahren!

Was ist mir nun von meinem Vater geblieben? Briefe, Fotos, Erinnerungen meiner Mutter, und diese „Weihnachtsgedanken“, die er 1941 in Russland für meine Großmutter gedichtet hat:

„Weihnachtszeit, Wonnezeit, mein Herz ist voll von Seligkeit.

In stiller Nacht träum` ich von tausend schönen Dingen, wenn die Weihnachts-Glocken klingen.

Weihnachtszeit, Wonnezeit. Und wenn der Tod mich packt mit Grausamkeit,

Kameraden mich zu Grabe bringen, wenn die Weihnachtsglocken klingen.“