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Von der Mitte her denken

Zehntausende Menschen strömen auf die Messehallen zu. Es ist Kirchentag in Berlin und viele sind gekommen. Einer geht gegen den Strom. Er kommt auf mich zu. „Kennst du den Weg zu Gott?“ fragt er. Und das klingt wenig freundlich. Dieser Mann ist gegen den Kirchentag. Er hält Kirchentagsbesucher für ungläubige Menschen, die man bekehren muss. Und er weiß auch genau, wie das geht.  Auf einem Faltblatt in seiner Hand steht so etwas wie eine Gebrauchsanweisung für den Weg zu Gott.

Ärger kommt in mir auf. „Was für eine Arroganz“, denke ich. Aber ich will mich nicht ärgern. So sehr habe ich mich auf diesen Kirchentag gefreut. Diese Freude lasse ich mir nicht vermiesen. Ich lasse den Mann einfach stehen.

Später nehme ich an einer Bibelarbeit teil.  Eine Pfarrerin aus Amerika legt mit und für uns Besucher die Bibel aus. An beiden Armen trägt sie großflächige Tattoos. Aber dazu ein Hemd mit Kollar- dem klassischen Priesterkragen. Eine seltsame Mischung. Aber sie gefällt mir. Wo zwei oder drei im Namen Jesu versammelt sind, da ist Jesus unter Ihnen, sagt sie. Mehr brauche es nicht. Jesus habe nichts von Dogma, Konfession, Kirchenzugehörigkeit oder gar Ordnung und Gesetz gesagt. Alles, was es brauche, um Gemeinde Jesu Christi zu sein, sei dieses: In seinem Namen zusammenkommen. Da gebe es keine Ausgrenzung, keine Ränder. Da gebe es nur die Mitte. Die Mitte sei wichtig, sonst nichts. Weil es nicht unsere Sache ist, festzulegen, wo und wie Jesus gegenwärtig ist. Wir brauchen nichts festzulegen, wir können alles ihm überlassen. Das heißt Glauben. Der Glaube engt nicht ein. Denn Glauben heißt Vertrauen. Und ich denke wieder an den Mann am Eingang zu den Messehallen, der so voller Ärger und Abgrenzung war. Wie wäre diese Botschaft bei ihm angekommen? Von einer Pfarrerin mit Tattoos auf den Armen?

Ich wünsche diesem Mann die innere Weite, die Jesus an den Tag legt. Die Weite, die niemanden ausgrenzt, weil sie sich an der Mitte und nicht an den Grenzen orientiert. Und weil sie auf Vertrauen aufgebaut ist. Diese Weite wünsche ich auch meiner Kirche. Und mir natürlich ebenfalls.