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Vernunft und Umsicht

Wenn ich aus dem Wohnzimmerfenster gucke, dann kann ich gar nicht dran vorbeischauen. An einem der zwei Tore, die zur Kirche führen, steht das Denkmal. Das Denkmal für die Gefallenen der zwei Weltkriege. Momentan erinnert mich das Denkmal allerdings eher an das Thema, das zur Zeit die Nachrichten beherrscht: Die Corona-Krise. In diesem Zusammenhang werden gerne Bilder und Wörter benutzt, die daran denken lassen, dass wir uns in einem Krieg befinden. Ganz wörtlich hat das der französische Präsident getan. „Wir befinden uns im Krieg“, hat er gesagt. Deutsche Politiker sprechen aktuell von der schwersten Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg. Eine große Wochenzeitung druckt ein Bild eines beatmeten Covid19-Patienten in schwarz-weiß ab und weckt damit Assoziationen an Krankenhausszenen aus früheren Zeiten. Und wir alle haben wohl immer noch vor unserem inneren Auge, wie in Italien Militärfahrzeuge die Särge mit Covid19- Tote abtransportieren. Bei alledem könnte man tatsächlich den Eindruck bekommen, im Krieg zu sein.

Könnte man. Muss man aber nicht. Ich zumindest denke beim Stichwort Krieg an ganz andere Szenarien. An solche, von denen meine Großeltern mir erzählt haben. Wie meine Großmutter als kleines Mädchen mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern bei Fliegeralarm über den Hof zu ihrem selbstgebauten Bunker gelaufen sind. Wobei „Bunker“ eigentlich übertrieben ist. Es war wohl mehr ein Erdloch mit Brettern darüber. Wenn da eine Bombe auch nur in der Nähe eingeschlagen wäre – dann wäre von meiner Großmutter und ihrer Familie wohl kaum etwas übriggeblieben. Oder ich denke an das, was mein Großvater mir erzählt hat. Wie er an Bahngleisen gewartet hat, um von einem haltenden Zug vielleicht ein paar Kartoffeln oder ein paar Stücke Kohle klauen zu können. Damit die Familie es im Winter zumindest ein wenig warm hatte und damit alle nicht ganz soviel Hunger leiden mussten. Solche Bilder sind für mich mit dem Stichwort „Krieg“ verbunden. Klar, ich weiß auch, dass moderne Kriege sich ggf vielleicht eher online abspielen als auf Schlachtfeldern wie in früheren Zeiten. Trotzdem meine ich: Wir sind nicht in einem Krieg. Und die oftmals verwendete Kriegsrhetorik und Bildersprache schadet mehr als sie nützt. Wir tun gut daran, dass Virus ernst zu nehmen und großen Respekt davor zu haben – aber das, was mit solcher Kriegsrhetorik erreicht wird, kann nichts Gutes sein. Auf diese Weise wird viel Angst und Panik geschürt. Und beide sind noch nie gute Ratgeber gewesen.

Im Buch der Sprüche im Alten Testament heißt es: „Umsicht wird dich bewahren, Vernunft wird deine Hüterin sein!“ (Prv 2,11) Es ist schwer, in Zeiten wie der aktuellen, umsichtig zu sein und die Vernunft zu bewahren. Zu unbekannt ist das Virus, zu groß die Bandbreite an Symptomen und Krankheitsverläufen, zu mächtig sind Worte und Bilder, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden. Umso wichtiger aber ist es, mit Umsicht und Vernunft an die Sache ranzugehen. Um gute Entscheidungen zu treffen und sich nicht aus Angst zuhause zu verbarrikadieren. Denn das, was im schlimmsten Fall dabei herauskommen kann, ist, dass wir in unseren Mitmenschen nicht mehr die Menschen sehen, sondern nur potenzielle Krankheitsüberträger. Dann haben wir am Ende vielleicht das Virus besiegt, aber dafür zig neue Gegner gefunden: Unsere Mitmenschen nämlich, von denen wir nie wissen werden und auch noch nie gewusst haben, was sie uns alles für Krankheiten übertragen werden.

Ich wünsche Ihnen allen, dass sie vernünftig, umsichtig und vor allem gesund bleiben!