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Vergiss es

„Vergiss es einfach“ – diesen Satz sage ich relativ häufig. Immer dann, wenn ich keine Lust auf Erklärungen habe oder ein Gespräch abbrechen möchte, bei dem ich glaube: Es hat eh keinen Zweck, weiterzureden. „Vergiss es einfach“ – Diese kurze Floskel setzt wortwörtlich voraus, dass Vergessen einfach ist.

 

Stimmt natürlich nicht. Vergessen ist oft ziemlich schwierig. Im Fall von Jill Price aus den USA ist es sogar unmöglich. Die heute 55-Jährige ist der erste Mensch, bei dem ein sogenanntes „hyperthymestisches Syndrom“ beobachtet wurde. Das heißt: Ab ihrem 9. Lebensjahr kann sich Jill Price an alles erinnern. Es klingt unglaublich, ist aber so: Jill Price kann nichts vergessen. Vielleicht würde sie ja gerne – aber es geht halt nicht. Das hat Vorteile, wenn es um die positiven Dinge im Leben geht. Das hat aber auch große Nachteile, wenn es eben um die negativen Dinge geht: Jedes böse Wort, jeder Fehler, jede Angst, und jeder Schmerz ist für Jill Price immer noch gegenwärtig. Bei ihr heilt die Zeit keine Wunden.

 

Ich jedenfalls möchte nicht mit Jill Price tauschen. Dinge zu vergessen, vergessen zu können – das ist nicht unbedingt ein Fluch. Es kann auch ein Segen sein. Etwas, dass Gott mir gegeben hat, weil es mein Leben an vielen Punkten erleichtert. Wie kann man lieben, wenn man nicht vergisst? Und wie kann man verzeihen, wenn jeder Schmerz immer noch da ist?

Ich glaube: Wer vergessen kann, der belastet seine Seele damit ein bisschen weniger.

 

Denken Sie vielleicht mal dran, wenn Sie sich das nächste Mal ärgern, weil sie vergessen haben, wo Sie zum Beispiel den Autoschlüssel hingelegt haben.