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Vater und Sohn

Lang ist es her. Auf den Tag genau 512 Jahre. Am 17. Juli 1505 hat einer ein Gelübde erfüllt, das er gegeben hatte. Gegen den Widerstand seines Vaters. Der nämlich hatte etwas ganz anderes mit ihm vor. Er hatte einen Beruf gewählt für seinen Sohn. Jurist sollte der werden. Und er hatte ihm die teure Ausbildung dazu bezahlt. Für einen Beruf mit viel Ansehen. In dem man seine Stimme erheben, für Andere eintreten musste. In dem man auch ordentlich verdienen konnte. Das, ja genau das hatte der Vater mit ihm vor. Aber dann hat der Sohn sein Leben grundlegend geändert.

Ich überlege mir heute manchmal, was meine Eltern wohl mit mir vorhatten. Ich weiß zumindest: Mein Vater hat mir irgendwann gesagt, ich würde ihm eine Predigt halten. Das meinte er aber nicht im aufmunternden Sinne. Es war auch keine Prophezeiung meines heutigen Berufs. Wir hatten uns vielmehr gestritten. Und er meinte, ich solle endlich aufhören, so mit ihm zu reden.

Dass ich Pfarrer wurde, hat er nicht mehr miterlebt. Mein Theologiestudium habe ich erst Jahre nach seinem Tod aufgenommen. Ich hab nur ab und an unser Gespräch im Ohr. Es trägt ganz sicher mit dazu bei, dass ich mir immer bewusst bleibe, mit welchem Luxus ich ausgestattet bin: Ich kann – ohne unterbrochen zu werden – 5 oder 10 Minuten oder sogar eine halbe Stunde meine Gedanken äußern. Aber ich hoffe und bemühe mich auch, niemanden von oben herab im wahrsten Sinne des Wortes abzukanzeln. Wollte mein Vater, dass ich genau das immer beachte? Hatte er das mit mir vor? Dass ich irgendwann Pfarrer werde, das haben wir beide damals nicht gedacht.

Am 17. Juli 1505 war das ganz anders. An diesem Tag ist ein gerade mal 21-jähriger junger Mann namens Martin Luther in ein Kloster eingetreten. Die geachtete Stellung als Jurist hat er eingetauscht gegen eine ungewisse Zukunft hinter geschlossenen Mauern. Als Mönch im Augustinereremitenkloster in Erfurt. Und das nur, weil ihn seine Angst während eines Gewitters zu dem Schwur verleitet hatte, ein Leben als Mönch zu führen. Die Auseinandersetzung mit seinem Vater hat ihn viele Jahre begleitet und auch belastet. Und: Sie hat ganz sicher sein zukünftiges Leben und sein spezielles Auftreten und Verhalten geprägt. Aus dem Mönch wurde der Reformator. Ganz sicher nicht zum Leidwesen seines Vaters.