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„Und siehe: Wir leben!“

„Für uns beide war die schönste Erfahrung des letzten Jahres, dass sich die Kräfte, die jedem von uns geblieben sind, noch besser zusammenfügten.“ Das hat mir vor Weihnachten ein alter Freund geschrieben. Und weiter: „Das konnten wir nicht planen; es hat sich einfach so ergeben; aber dafür sind wir dankbar.“ Gespannt habe ich den ganzen langen Brief gelesen. Was sich da „einfach so ergeben hatte“, waren zwei große Operationen, die zeitlich so hintereinander „passten“, dass immer einer für den anderen sorgen konnte.

Um so zu denken, muss man einen besonderen Blick aufs Leben haben, einen „Glücksblick“. Denn mal ehrlich, wer findet Operationen schon passend? Je älter ich werde, desto mehr bewundere ich Menschen, die so einen Blick aufs Leben haben  – und frage mich, ob man dazu geboren sein muss oder ob man das lernen kann.

Ich persönlich übe es jedenfalls, seit ich nach einer Wirbelverletzung gelegentlich starke Rückenschmerzen habe. Wenn ich mich nicht zu sehr stresse, mich regelmäßig bewege, etwas Sport treibe, muss ich keine Schmerzmittel nehmen. Wichtig sei, sich nicht von den Schmerzen dominieren zu lassen, meint auch meine Physiotherapeutin.  Letztlich – so sagt sie – habe die Lebenszufriedenheit den größten Einfluss auf das Wohlbefinden – ein erfüllender Beruf, ein glückliches Miteinander, ein schönes Zuhause, in dem ich mich entspannen kann. Dass ich auf das schaue, was ich tun kann und was mir Spaß macht.

Wer ein Warum hat, erträgt jedes Wie, heißt es. Wer sein Leben als sinnvoll empfindet, lässt sich von Dankbarkeit tragen und von glücklichen Momenten motivieren. Der gibt dem Trübsinn keine Chance, auch wenn Schmerzen und Schattenseiten wirklich weh tun. So hat es auch der Apostel Paulus gehalten. Er hat um seines Glaubens willen viel Gegenwind aushalten müssen- bis hin zur Gefangenschaft und zur Hinrichtung. In seinem sogenannten „Tränenbrief“ bekennt er sich zu der Kraft, die ihn stark macht. Er schreibt: „Ich bin ein Sterbender und doch lebe ich. Ich werde misshandelt und doch komme ich nicht um. Ich erlebe Kummer und bin doch immer fröhlich.“

Das ist der „Glücksblick“, der von Gott kommt. Die Lebensperspektive, die alles verändert. Die Seligkeit, die auch bei Jesus so anziehend ist. Auf ihn hat Paulus sein Leben ausgerichtet. Wer die Paulusbriefe liest, der spürt: Gerade, wenn es eng wird, weitet sich sein Leben auf Gott hin. Das ist alles andere als selbstverständlich. Es ist vielmehr eine Erfahrung, über die Paulus offenbar selber staunt. „Ich bin ein Sterbender und doch lebe ich“, schreibt er. Eine wunderbare Erfahrung, so wunderbar wie die meines alten Freundes, dass sich die Kräfte, die ihm und seiner Frau geblieben sind, so gut zusammenfügen. Gebrechlich – und doch stark. Sogar eine gemeinsame Kreuzfahrt konnten sie noch machen in diesem Jahr. Und auch, wenn sie ans Haus gebunden waren- so viel Besuch haben sie noch nie zuvor bekommen. Voller Staunen und Dankbarkeit schaut mein Freund auf das vergangene Jahr zurück.

Ich denke, weder Paulus noch mein alter Freund haben mit diesen positiven Erfahrungen in diesen schwierigen Situationen gerechnet. Der eine im Gefängnis, der andere und seine Frau krank. Es bleibt ein Wunder. Und trotzdem: ich will mich auf diese Kraft verlassen, die von Gott kommt. Ich hoffe darauf, dass sich neue Perspektiven öffnen, wenn ich vor Mauern stehe. Ja, ich habe manchmal Schmerzen und vielleicht werde ich irgendwann gebrechlich. Und ja -wir alle werden sterben. Und doch: in Gott sind wir getragen wie auf einer Wolke, die die Schmerzen klein macht. Und das Leben leicht. Schön, dass es immer wieder Menschen gibt, die mich daran erinnern.