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Über mich lernen!

Vor bald 18 Jahren kam mein ältester Sohn in die Schule. Auf dem Pausenhof sang die vierte Klasse: „auch Indianer und Chinesen, lernen lesen, lernen lesen.“ Vor meinem inneren Auge sah ich kleine Rothäute mit Federschmuck am Lagerfeuer, lächelnde Kinder mit schmalen Augen und großen Hüten. Und vielleicht hörten auch andere die Botschaft: na, wenn sie jetzt schon im fernen China Lesen lernen…

Kein sehr schlauer Gedanke: Erste Pisa-Studien hatten gerade chinesischen Grundschulkindern ein atemberaubendes Leistungsniveau bescheinigt – auch Folge einer jahrtausendealten Sprachkultur in China.

Rassismus ist schwer zu fassen. Einerseits gibt es in der Weltgeschichte sehr unterschiedliche Formen von Rassismus. Andererseits entdeckt man rassistische Muster auch dort, wo es gar nicht um die Hautfarbe oder Körpermerkmale geht, sondern um Kultur, Religion oder irgendeinen erfundenen Unterschied.

Rassismus ist eine Form der Menschenfeindlichkeit und oft klar als Gewalt erkennbar. Aber er kommt manchmal auch ganz harmlos daher und ist gar nicht bös gemeint. So etwa in einem Lied, das fröhlich von lernenden Kindern rund um den Globus singt und zugleich spätkoloniale Völkerkunde transportiert.

Nur – über den versteckten Rassismus reden? Das wäre nicht gegangen. Allein das Wort auszusprechen, wird oft als so schwerer Vorwurf empfunden, dass ein vernünftiges Gespräch dann kaum noch möglich ist. Das finde ich schade. Wie viel könnte man über sich selbst lernen, wenn man seine Worte einmal mit den Ohren des Menschen hört, über den man gerade geredet hat?

Jesus hat das so beschrieben: bevor Du den Splitter im Auge deines Nächsten entfernen willst, erkenne den Balken in deinem eigenen Auge. Und zieh ihn zuerst heraus.

Der Balken in meinem Auge? Auch ich stecke Menschen in Schubladen und urteile pauschal. Auch ich werte andere unbewusst ab, weil ich sie zu einer bestimmten Gruppe zähle. Es gibt keine Gesellschaft ohne diesen Rassismus. Das will ich anerkennen, um meinen eigenen Rassismus zu entdecken und über mich zu lernen.

Das Saarland wird bald eine Beauftragte oder einen Beauftragten gegen Rassismus bekommen. Das hat der Landtag letzte Woche entschieden. Dabei soll es um Beratung im Konfliktfall gehen. Aber ich hoffe, sie oder er versteht das Amt auch als freundliche Lernbegleitung für unser Land, damit wir in Zukunft ernsthaft und zugleich gelassener über Indianer und Chinesen reden können. Das wäre dann auch eine Art Schulanfang.

 

Der Link zur Mediathek: https://www.sr-mediathek.de/index.php?seite=7&id=139937