Thomas Mann und die Frau vom Potifar

Manchmal lese ich eine spannende Geschichte, dann ploppt ein Detail auf, ich wüsste gerne mehr, aber da kommt nichts! Ach, ärgerlich, darüber hätte ich jetzt gerne mehr erfahren.
Mir geht es so bei der biblischen Geschichte über Josef. Der kommt als Sklave nach Ägypten und arbeitet im Haus des Verwalters Potifar. Das läuft gut an, er arbeitet sich nach oben. Bis dessen Frau ihm an die Wäsche geht. Josef sträubt sich, sie will ihn halten, er schlüpft aus seinem Gewand und flieht. Die Verschmähte bezichtigt ihn der Vergewaltigung und Josef landet im Gefängnis.
Schade, dass diese Episode so knappgehalten ist. Ich bin neugierig auf diese Frau ohne Namen und wüsste zu gern, wie sich das genau zugetragen hat.
So geht es nicht nur mir. Schon Goethe bedauerte, dass diese Geschichte viel zu kurz ausfällt. Ebenso der Schriftsteller Thomas Mann. Er hat diese elf Verse aus der Bibel genommen und einen Roman von 800 Seiten daraus gemacht, sehr kenntnisreich und fantasievoll!
Bemerkenswert liebevoll schildert er diese Frau. Er schneidert ihr eine perfekte Biographie, gibt ihr einen Namen, eine Herkunft und einen Charakter.
Und bis es zu jener verleumderischen Anklage kommt, berichtet er haarklein ihre Lebenssituation: Wie sie Josef kennenlernt, sich allmählich in ihn verliebt und ihr Begehren immer verzweifelter wird. Josef macht das Ganze nicht besser. Vor lauter Karrieredenken schmeichelt er ihr und schürt so, wenn auch ungewollt, ihre Hoffnung.
Thomas Mann tut im Grunde genau das, was viele biblischen Autoren schon immer getan haben: Aus einer kleinen, aber wichtigen Szene baut er eine große Geschichte. Er erfindet sie, aber es hätte sich genauso abspielen können.
Wer also genau so neugierig auf diese Frau ist wie ich: Thomas Mann, Josef und seine Brüder. Der dritte Band dreht sich nur um sie. Eni ist ihr Kosename.