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Sinnbilder

Ich halte ein altes Photo in den Händen: Es zeigt meinen Großvater
zusammen mit seinen Eltern und acht Geschwistern im Fotostudio: Dekosäule,
Zimmerpalmen, Wandvorhang. Der älteste Bruder trägt Uniform.
Die Aufnahme wurde wohl 1914 gemacht und man wollte sich als
vollständige Familie zeigen, bevor die Söhne vielleicht im Krieg getötet werden würden.

Ich habe die Abgebildeten als alte Leute gekannt, freundliche
Menschen, die mir bei Zigarrenduft, Kaffee und Kuchen die Welt erklärten.
Darum bedeutet mir das Bild viel. Meine Kinder können damit nichts mehr
anfangen. Eines Tages landet das Photo deshalb vielleicht Abfalleimer. Genauso wie Photos von mir.
Dann nämlich, wenn meine Nachfahren sie in den Händen halten und mich aber gar nicht mehr
gekannt haben.

Ich frage mich: Was bleibt eigentlich von uns? Sind es nur die kleinen Glücksmomente?
Beim Joggen, im Urlaub, vor dem gerade fertiggebauten Haus? Was sind diese Momente wert, wenn
am Ende alles verschwindet?

Es sind deprimierende Tage, die wir hinter uns haben. Vor zwei Wochen der Volkstrauertag, letzten
Sonntag der Totensonntag. Wobei der auch anders genannt wird. Nämlich Ewigkeitssonntag.
Unter Ewigkeit versteht man eine Zeit, die ganz anders ist als die uns
vertraute: Unsere Weltzeit fließt unablässig: Von der Zukunft über den
flüchtigen Gegenwartspunkt in die Vergangenheit. Fast alles, was wir wissen,
beruht auf der Vergangenheit. Damit ist sie der endgültige Modus aller
Dinge. Da das Vergangene aber nicht mehr existiert, sind wir als „Noch
Lebende“ sozusagen von Ehemaligem, von Totem umstellt, das fühlt sich prekär an.

Kann es überhaupt etwas Ewiges geben, das sich im Meer des Vergänglichen
behauptet? Nun, es gibt tatsächlich Inseln von Unvergänglichem. Mathematik
und Logik zB. Sie gelten als überzeitlich. Vielleicht auch die meisten
Naturgesetze. Auch die Vorstellung des Philosophen Platon, wonach
unserer Welt ein unsichtbares Reich von Ideen zugrunde liegt, setzt einen
unvergänglichen Hintergrund des Sichtbaren voraus.

Damit verwandt ist unsere Vorstellung von Gott. Und allem, was wir damit
verbinden. Ein ewiges Gottesreich, Gottes Wille, Gottes Gnade.
Dieses Gottesreich scheint allerdings – im Unterschied zu den Gesetzen von
Mathematik und Natur – nicht in unsere vergängliche Welt hinein zu ragen.
Gott zeigt sich nicht. Er lässt sich nicht beweisen wie ein Satz der Mathematik.
Doch muss man alles beweisen? Reicht es nicht, wenn etwas plausibel ist?
Dass meine Frau mich liebt, kann sie nicht beweisen. Trotzdem verlasse ich
mich darauf, denn sie verhält sich so. Anderes anzunehmen, macht keinen Sinn.

Vieles, was wir im Alltag tun, folgt keiner strengen Logik.
Warum behalte ich die alten Familienfotos? Warum halte ich Kontakt zu
Freunden? Warum setze ich mich für Klimaschutz ein?
Weil ich darauf vertraue, dass es einen Sinn hat. Dieser
Sinn lässt sich plausibel machen. Wer etwas Sinnvolles tut, folgt einem

Idealbild, das sich auf die Möglichkeit gelingenden Lebens einlässt.

Ob die Welt und das Leben für mich einen Sinn bekommt, hängt nicht von einer Weltformel ab.
Sondern davon, ob ich ein letztes Vertrauen fassen kann. Ob ich Zukunftshoffnung
begründen kann, die über meine eigene, vergängliche Zeit hinaus
reicht. Ob ich mich als Teil eines größeren Sinnentwurfs sehen kann, den
die Bibel mit „Reich Gottes“ bezeichnet. Dort ist das Vergangene nicht einfach weg, sondern es bleibt
aufgehoben.

Ewigkeit ist daher kein leerer Begriff, sondern ein Hinweis, dass unsere Vergänglichkeit von Ewigem
umgriffen und gehalten wird. Der Ewigkeits-Sonntag vor sechs Tagen verweist damit auf morgen,