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Sensitivity Reading

Ihr Schlangen, ihr Otterngezücht. Wie wollt ihr der höllischen Verdammnis entrinnen?“ Diese Worte von Jesus hätten heute keine Chance mehr, veröffentlicht zu werden. Grob, beleidigend, abwertend. Und dass Tierarten als Schimpfwörter verwendet werden, zeugt von einem gestörten Verhältnis zur Natur.

Die Bibel ist voll von Worten, Begriffen und Aussagen, die bei so genanntem Sensitivity Reading kaum durchgehen würden. Sensitivity Reading, also empfindsames Gegenlesen, deckt diskriminierende, verletzende und stigmatisierende Aussagen auf. Oft ist es uns ja gar nicht bewusst, wenn unsere Sprache verletzt. Keiner würde heute mehr das N-Wort schreiben. Und wenn doch, würde das kein Verleger veröffentlichen. Aber in jedem zweiten Bericht über die Krankenhausreform steht irgendetwas von „Ärzten und Krankenschwestern“. Sensitivity Reading würde darauf hinweisen, dass hier nicht nur eine fragwürdige Zuschreibung von Berufen vorliegt (Mann – Arzt, Frau – Schwester), sondern ein grundsätzlich problematisches Machtverhältnis (Mann – Chef, Frau – Untergebene).

Um nicht in solche Fallen zu laufen, und natürlich auch, um keinen Shit-Storm zu bekommen, ist Sensitivity Reading heute in vielen Verlagen selbstverständlich.

Zurück zur Bibel. Hätte es zur Zeit ihrer Entstehung schon Senitivity Reading gegeben, wäre sie wohl ein recht dünnes Bändchen geworden. Und hätte wohl auch nichts bewegt. Es sind ja gerade die sperrigen, anstößigen, mitunter groben Worte, die etwas bewegen; und sei es Widerspruch, Empörung, Wut. Aber eben auch Erschrecken, Einsicht, Umkehr. Manchmal braucht’s das. Ich würde z.B. Putin und Konsorten gerne einmal ganz unsensitiv fragen: „Ihr Schlangen, ihr Otterngezücht. Wie wollt ihr der höllischen Verdammnis entrinnen?“ Die Schlangen und Ottern würde ich hinterher um Entschuldigung bitten.