Beiträge

Selbstbild

‘Eigentlich habe ich ein ganz falsches Bild von mir!’ Das denke ich oft, wenn ich Fotos von mir sehe, die ohne mein Wissen gemacht wurden. Darauf sehe ich ja ganz anders aus, als der, der mir im Spiegel entgegenblickt. Klar, im Spiegel sehe ich mein Gesicht seitenverkehrt – und das macht schon einiges aus, denn die Gesichtshälften der Menschen sind sehr unterschiedlich. Aber es ist noch mehr. Auf den Fotos lache ich anders. Die Augen blicken anders in die Welt. Die ganze Körperhaltung und Mimik erscheinen mir seltsam fremd. Ich wundere mich: So sehe ich wirklich aus? So sehen mich die anderen? So ganz anders, als ich mich sehe! Vielleicht stelle ich vor dem Spiegel ganz unbewusst mein Wunschgesicht ein. so wie fast jeder Mensch ein ganz bestimmtes Fotogesicht macht, wenn er merkt, dass er fotografiert wird. Ein Gesicht, das allen anderen dann ganz unecht vorkommt. „Schau doch mal ganz normal!“, ruft der Fotograf – und man bekommt es einfach nicht hin.

Ich mache mir ein Bild von mir – und es ist falsch. Hm! Gilt das nur für mein Gesicht oder auch für meine Persönlichkeit? Vielleicht wirke ich auf andere völlig anders, als ich auf mich selbst. Eine Erfahrung, die auch der Theologe Dietrich Bonhoeffer gemacht hat. 1944 hat er als Gefangener der Nazis folgende Zeilen geschrieben:

Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle gelassen und heiter und fest, wie ein Gutsherr aus seinem Schloss. (…) Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß? Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig, hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen, dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe, (…) müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen (…) Wer bin ich? Der oder jener? Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer? Bin ich beides zugleich? (…)

 Bonhoeffer findet keine Antwort auf diese Fragen. Aber: Was für ihn zählt, ist das, was er am Ende schreibt:

 Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott. Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!

Was für Bonhoeffer gilt, das gilt auch für sie und für mich: Gott kennt uns mehr, als wir uns selber und andere uns kennen. Er kann die verschiedenen Bilder von mir zusammenfügen.