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„Richtig daheim waren sie nie“ – zum Schicksal der Juden an der Saar

Wer an die Geschichte der Juden in Deutschland denkt, erinnert sich vielleicht zuerst an Verfolgung, Vertreibung und Shoa. Aber es gab auch harmonische und friedliche Zeiten. Das zeigte die beeindruckende Ausstellung „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, die am letzten Sonntag in der Ludwigskirche zu Ende ging.

Dieses Miteinander hat Kultur und Geistesgeschichte, Wirtschaft und Politik beeinflusst und geprägt – auch bei uns im Saarland oder Saargebiet, das es vor 1920 noch gar nicht gab. Daher verlief die jüdische Geschichte in den einzelnen politischen Territorien unserer Region ganz verschieden: Im französischen Gebiet um Saarlouis sorgte die Gesetzgebung von 1791 dafür, dass die Juden ihren Mitbürgern gleichgestellt wurden. Das war eine Errungenschaft der französischen Revolution. Der Namensgeber der Ludwigskirche, Fürst Ludwig von Nassau-Saarbrücken, ließ dagegen noch 1776 die Juden, trotz eines Schutzbriefes, wegen angeblichen Wuchers ausweisen.

In Wahrheit wurde dieser antisemitische Vorwurf von der Saarbrücker Kaufmannschaft aus Angst vor der unliebsamen jüdischen Konkurrenz erhoben. Fürst Ludwig nahm dann durch die Hintertür die Juden in seinem Ottweiler Gebiet allerdings wieder auf.

Das 19. Jahrhundert brachte auch im bayerischen Teil der Saarregion eine zunehmend rückwärtsgewandte Judenpolitik. Das preußische Gebiet der Rheinprovinz an der Saar dagegen war durch eine Bewegung hin zur Judenemanzipation – wenn auch mit Rückschlägen – gekennzeichnet. So konnten 1847 etwa die 18 jüdischen Gemeinden an der Saar ihre Ordnung auf das preußische „Gesetz über die Verhältnisse der Juden“ gründen. Das verlieh ihnen die Rechtsstellung einer öffentlichen Körperschaft. Diesen Status hatten die Gemeinden im bayerischen Teil an der Saar nie erreicht. Aber die positiven Signale im Miteinander änderten insgesamt nichts an der zwiespältigen Haltung der Gesellschaft, mal liberal oder gleichgültig gegenüber den Juden, immer aber mit antisemitischen Untertönen aus religiösen, wirtschaftlichen oder rassistischen Gründen – leider auch von Seiten der Kirche.

Wirtschaftliche Boykottaufrufe wurden auch nicht erst 1933 von den Nazis erfunden: 1919 entlud sich zum Beispiel in St. Wendel die aufgestaute Wut über die französische Besatzungspolitik am jüdischen Kaufhaus Daniel – da wurden Fensterscheiben eingeschlagen und Auslagen geplündert. Es gab bei uns keine jüdischen Ghettos mehr wie im Mittelalter, aber Jüdinnen und Juden blieben weiterhin Fremde.

Nach der Saar-Abstimmung 1935 hatte die jüdische Bevölkerung, auf Grund der Bestimmungen des Völkerbundes, noch ein Jahr „Galgenfrist“ im wahrsten Sinne des Wortes. Das nutzten 80 Prozent zur Emigration vor dem Nazi-Terror. So schrumpfte ihre Zahl von 4636 in 23 jüdischen Gemeinden vor 1933 auf nur noch 480 Gemeindeglieder 1938, als die Saarbrücker Synagoge am 9.11. In der Reichspogromnacht in Flammen aufging.

Seit 1945 gibt es nur noch eine einzige jüdische Gemeinde im Saarland, die ihre neue Synagoge am Beethovenplatz in Saarbrücken erbaute. Durch die Rückkehr aus der Emigration und später durch Zuzug aus Osteuropa war wieder neues jüdisches Leben an der Saar entstanden. Das ist aktuell leider durch Antisemitismus und rechtsextremistische Ausschreitungen erneut gefährdet. Umso wichtiger ist die Solidarität mit unseren jüdischen Mitbürgern. Die christlich-jüdische Arbeitsgemeinschaft übt diese Solidarität. Sie widmet sich seit langem einem neuen religiösen Dialog als Versöhnungsarbeit nach dem Grauen der Shoa.