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Nicht einfach weitermachen

Ich denke heute an die, die alles verloren haben. Vor einem Jahr ist über der Vulkaneifel eine Katastrophe hereingebrochen, die alle bekannten Maßstäbe mit sich gerissen hat. Einhundertachtzig Menschen fanden in der Flut den Tod. Hunderte wurden verletzt. Tausende verloren all ihr Hab und Gut. Heute denke ich an sie. Und ich habe für sie gebetet.

Aber ich will auch eine ganz persönliche Lehre aus der Flutnacht ziehen, und aus dem Tag danach.

Rückblende: Es ist der Morgen des Fünfzehnten Juli. Ganz langsam fügen sich die Informationen zu einem Bild – auch in mir. Mittags stehe ich, so wie heute, vor dieser Kamera und nehme einen Text auf, den ich Tage vorher geschrieben hatte. Heute frage ich mich: „Warum hast du nicht reagiert? Du hättest dein Thema ändern, ein Gebet für die Menschen in Not sprechen können. Wie konntest Du einfach weitermachen, als wäre nichts passiert?“

Wir wissen aus den Aufzeichnungen der Rettungsdienste und Behörden, dass es damals vielen so ergangen ist. Die Katastrophe ist zu lange unterschätzt worden. Die Nachrichten vom Oberlauf der Flüsse kam nicht als Warnung bei den Menschen flussabwärts an. Leitstellen handelten erschreckend zögerlich.

Sehenden Auges nicht begreifen, was da gerade passiert. Nicht wahrhaben wollen, dass die Lage außer Kontrolle ist. Mag sein, dass dahinter ein menschlicher Schutzmechanismus steht. Vielleicht, weil die Dimension der Katastrophe unfassbar scheint? Aber wenn es ein Schutzmechanismus ist, dann ist es ein gefährlicher. Menschen können alles verlieren, weil andere nicht sehen oder hören, dass sie handeln müssen.

Das Menschen sehenden Auges die Gefahr nicht begreifen, davon erzählen schon die Propheten im Alten Testament. Ihr „hört und versteht es nicht; seht und merkt es nicht!“ heißt es bei Jesaja. Damals ging es um politische Entscheidungen gegen Gottes Warnung. Und heute? Eigentlich auch.

Vor einem Jahr hat es sintflutartig geregnet, heute schien die Sonne. Sie scheint seit Wochen. Es ist zu trocken. Es ist zu heiß. In Südeuropa wird das Wasser knapp. Gletscher schmelzen. Extremwetterereignisse – vor dreißig Jahren schon vorhergesagt – sind kein Schicksal. Sie werden vom Energiedurst des Menschen befeuert, auch von meinem. So gering mein Beitrag auch ist, daran etwas zu ändern, darf ich heute nicht einfach weitermachen. Sonst sind unsere Kinder einst die, die alles verlieren werden.

 

Hier nachzusehen:

https://www.sr-mediathek.de/index.php?seite=7&id=117632