Beiträge

Nicht anders können

Sie war der Klosterzucht entkommen. Er hatte durchschaut, dass strenge Ordensregeln allein nicht in den Himmel führen. Am 13. Juni 1525, also vor gut 500 Jahren, heiraten in Wittenberg Katharina von Bora und Martin Luther.

„Eigensinniger Mönch und abtrünnige Nonne geben sich das Ja-Wort.“ Das würde auch heute noch für eine Schlagzeile reichen. Damals provozierte es die Oberen der Kirche bis ins Mark. Luther suchte den Bruch mit Rom. Weniger theologisch als in seinen Schriften, dafür publikumswirksam. Als das Paar die Ringe tauscht, werden vor aller Augen aus einer Kirche zwei.

Die Süddeutsche Zeitung hat vor knapp zwei Wochen dazu eine Karikatur gebracht. Das Brautpaar vor dem Traualtar. Martin sagt: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“

Das ist ein Spruch zum Schmunzeln. Und er wird tatsächlich Luther zugeschrieben, allerdings in einem ganz anderen Zusammenhang. Im April 1521 weigerte er sich, seine Schriften vor Kaiser und Kardinälen zu widerrufen, und er soll das mit diesen Worten besiegelt haben: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir.“ Wohl wissend, dass sie ihn umgehend auf den Scheiterhaufen bringen könnten. So war es hundert Jahre früher dem tschechischen Reformator Jan Hus ergangen.

Luthers Ja-Wort also ein todesmutiges Bekenntnis? Nun, Katharina soll durchaus selbstbewusst gewesen sein – und vielleicht auch eine dominante Persönlichkeit. Es wird berichtet, eher habe sie ihn „rumgekriegt“, als dass er sie erobert hätte. Aber Martin wird gewusst haben, seine Freiheit zu behaupten.

Die Parallelen zwischen den zwei Wendepunkten in Luthers Leben reichen jedoch tiefer. „Hier-Stehen und Nicht-Anders-Können“, das heißt für Luther 1521 in Worms, sich mit dem Herzen und mit ganzer Seele Jesus Christus verschrieben zu haben. Der mutige Reformator weiß, dass er Vergebung brauchen wird – für seine Rhetorik, für sein Handeln und auch für seine Theologie. Aber Luther kennt die Bibel. Und dort steht, dass der bei Gottes Sohn Vergebung findet, der sich ihm ganz anvertraut. Ja, auch eine Bindung fürs Leben – und zugleich für Luther eine hoch kraftvolle Form von Freiheit.

So paradox es klingt: Martin Luther befreit sich von der Angst vor denen, die ihn einschüchtern wollen, indem er sich von Jesus Christus binden lässt. „Hier stehe ich.“ Denn Jesus selbst ist frei gewesen wie kein Mensch je vor und nach ihm. So hindert Luther die mächtigsten Männer seiner Zeit daran, ihn mundtot zu machen – mit einem Ja-Wort.

Ich weiß nicht, ob Martin zu Hause viel zu sagen hatte. Sein Bekenntnis zu Katharina könnte ihn aber in ähnlicher Weise befreit haben. Das Ideal als Mönch zu leben, der Zölibat, mag zu manchen Menschen passen – zu den allermeisten passt er nicht. Luther wählt das Leben mit Katharina. Zugleich wählt er die Freiheit vom Verzicht auf Partnerschaft. „Ich kann nicht anders“ hieße dann auch, sich ehrlich zu machen und in einer neuen Liebe Freiheit zu finden.

Es war noch nie einfach, seinen Standpunkt so offen und so öffentlich zu bekennen, wie Luther es damals tat. Heute werden viele noch vorsichtiger. Wie schnell kann der Wind aus einer anderen Richtung wehen. Und so wähle auch ich ganz oft die zweideutige Ironie, statt klarer Positionen. Sage lieber: „Ich kann auch anders“ statt „hier stehe ich!“ Ob mir das am Ende mehr Freiheit bringt? Ich habe da so meine Zweifel.