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Nein, meine Söhne geb ich nicht?

„Nein, meine Söhne geb ich nicht.“ Dieses Lied von Reinhard Mey landete bei der Hitparade des Südwestrundfunks von 1000 Titeln auf Rang 22. Das zeigt: Dieses Lied gegen den Wehrdienst von 1986 ist immer noch für viele Menschen wichtig. Bei einer Demonstration unter anderem gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht am vergangenen Wochenende in Berlin sah man viele Schilder mit dem leicht abgewandelten Liedtitel: Meine Kinder kriegt ihr nicht!

Ich frage ich mich: Wer sind denn diese “Ihr“?

Im Lied von Reinhard May sind dieses „Ihr“ irgendwelche Obrigkeiten, die unsere jungen Leute mit Hass verderben, statt sie Ehrfurcht vor dem Leben und Liebe zu lehren; die sie auf Schlachtfeldern als Kanonenfutter für ihr eigenes Wohlleben auf weichen Kissen verheizen wollen. Ich spüre und teile die Sehnsucht nach Frieden, die in diesem Lied anklingt, aber ich sehe in unserer Gesellschaft niemanden, der, aus welchen Gründen auch immer, Krieg will. Nicht in der Zivilgesellschaft. Auch nicht, und das sage ich als Militärpfarrer, in der Bundeswehr. Es geht bei der Wehrpflicht nicht um die Rekrutierung von Kanonenfutter. Es geht darum, stark genug zu werden, um glaubwürdig abschrecken zu können. Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen. Ich sehe im Moment keinen anderen Weg, den Frieden zu bewahren. Als junger Mann war ich für einseitige Abrüstung und die Abschaffung des Wehrdienstes. Ich habe deshalb 18 Monate Zivildienst geleistet. Ich war überzeugt, dass unsere demonstrative Wehrlosigkeit potentielle Gegner friedfertig machen würde. Heute bin ich sicher: Das stimmt leider nicht. Deshalb bin ich dafür, die allgemeine Wehrpflicht wiedereinzuführen; besser noch: eine allgemeine Dienstpflicht. Um unsere freiheitliche Demokratie nach außen verteidigen zu können. Und um sie im Inneren zu stärken.

Unsere Gesellschaft spaltet sich immer mehr. Gebildete und Bildungsferne haben kaum noch Berührungspunkte. Gleiches gilt für Wohlhabende und Arme, Linke und Rechte, Gläubige und Kirchenferne. Wir leben in verschiedenen Welten. Aber es ist ein Land. Ich glaube, nicht zuletzt aufgrund meiner eigenen Erfahrungen im Zivildienst, dass eine allgemeine Wehr- oder Dienstpflicht ein wichtiger Schritt sein könnte, junge Menschen zusammenzuführen. Wir müssen die Polarisierung überwinden, sonst ist da irgendwann kein Land mehr, das es wert wäre, verteidigt zu werden.

 

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