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Mein Held

„Papa, wer ist eigentlich Dein Held?“ Zwischen Frühstück und Zähneputzen möchte mein Sohn das von mir wissen. Ich bin – zugegebenermaßen – ziemlich überrascht. „Wie meinst Du das: Wer ist ein Held für mich?“ frage ich zurück, auch um ein wenig Zeit zu gewinnen.

„Na, wen findest Du so gut, dass Du am liebsten auch so sein möchtest“ sagt mein Sohn. Und dann zählt er mir seine Helden auf. Den mutigen und freundlichen Seeräuber Käptn Sharky, Jim Knopf und Lukas, den Lokomotivführer, Pippi Langstrump und natürlich Jerome Boateng von Bayern München.

Als mein Sohn fertig ist, nicke ich anerkennend. Dann sage ich: „Hmm, mein Held ist Matthew Rees!“

„Häh? Wer ist denn das?“ fragt mein Sohn.

„Gute Frage“, sage ich. „Bis vor kurzem kannte ich ihn auch noch nicht.“

Und dann zeige ich meinem Sohn ein Internet-Video auf meinem Smartphone. Es zeigt den Zieleinlauf des London-Marathons. Ende April war der. Da sieht man einen Läufer, der völlig ausgepumpt ist. Die 42 Kilometer haben ihm so sehr zugesetzt, dass er wenige Meter vor der Ziellinie schlapp zu machen droht. Er kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Statt zu laufen, geht er mittlerweile nur noch. Und selbst dabei scheint ihm jeder Schritt große Qualen zu bereiten.

Und da kommt Matthew Rees ins Spiel. Der Waliser läuft auch gerade auf der Zielgraden. Als der den erschöpften Läufer sieht, stoppt er und fasst ihn am Arm.  Und dann spricht er mit ihm, zeigt auf die Ziellinie, so als wollte er sagen: „Komm schon, Du schaffst es. Es sind nur noch weniger Meter.“ Schließlich stützt Matthew Rees den erschöpften Läufer und geht mit ihm gemeinsam die letzten Meter über die Ziellinie.

„Deshalb ist Matthew Rees ein Held für mich“, sage ich meinem Sohn. „Denn er hat seinen eigenen Erfolg, seine eigene möglichst gute Zeit und Platzierung hinten angestellt, um einem anderen zu helfen.“

„OK, da verstehe ich, dass das Dein Held ist, Papa“, antwortet mein Sohn.

Reese ist letztlich auf Platz 1008 gelandet. Aber für mich hat er trotzdem einen Pokal verdient. Nicht für die beste Zeit, sondern für etwas, das viel wichtiger ist: Nächstenliebe.