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Lutherol

Jemand hat mir zu Weihnachten eine Packung Lutherol ge­schenkt. Lutherol ist kein medizinisches Präparat, aber es sieht genauso aus wie eine Schachtel Tabletten. Schick gemachter Kar­ton, und innen so ein Blister für zwölf Kapseln. Nur, dass keine Kapseln drin sind, sondern fein aufgerollt kleine Zettel mit Zita­ten des Wittenberger Reformators: Luther – Roll eben.

Beim Entrollen fühlt man sich ein wenig an Glücks­kekse erinnert. Nur ohne Keks. Aber die Zitate sollen ja auch nicht glücklich machen, sondern „vergnügt, erlöst, befreit“. So lautet nämlich das Leitwort der Ev. Kirche im Rheinland zum Ju­biläumsjahr der Reformation. Und die Lutherol-Tabletten sind nur ein Gag unter vielen kreativen Ideen zum Luther-Jahr. Da gibt es Martin Luther als Playmobil-Figur, ein ökumenisch gebrautes Re­formationsbier, große blaue Lutherköpfe vor evangelischen Kirchen und vieles mehr. Ein Kollege sagte dazu treffend, wir Evangelische haben jetzt auch mal Kirmes, eben Luther-Kirmes. Es liegt wohl im Geist der Zeit, dass Martin Luther 2017 auch eine groß angelegte Selbstvermarktung der Evangelischen Kirche ist. Luthers Wiederentdeckung der ‚guten neuen Mär‘ vom gnädigen Gott, so scheint’s, braucht ein markt­gängiges Format.

Ich frage mich: Wie wohl die Menschen in hundert Jahren auf dieses Lutherjahr 2017 schauen werden? Es macht schon demütig, dazu einmal Texte von vor hundert Jah­ren zu lesen. 1917, mitten im ersten Weltkrieg, hat man Martin Luther zum deutschen Hel­den erhoben und seine Worte zum Kraftgrund verklärt, aus dem der Sieg für das Vaterland errungen werden könne. Gut, dass sol­che Zeit vorbei ist. Aber vielleicht wird man Gleiches über uns sagen. Wir sind Ge­fangene unserer Tage, so wie die Menschen zu einer jeden Zeit. Luther selbst war Kind des späten Mittelalters. Manche Grund­überzeugungen seiner Tage teilen wir heute ganz und gar nicht mehr. Dafür sind wir verstrickt in den Fehlern unserer Zeit, damit hoffentlich dereinst andere daraus lernen, und auf das We­sentliche zurückkommen.

Dabei hilft mir am Ende sogar noch ein Zitat aus meiner Packung Lutherol: „Sündige tapfer, aber stärker noch glaube und freu‘ dich in Christo.