Luise

Luise ist tot. Luise war meine Schwiegermutter. Als ich vor über 20 Jahren in die Familie meines Mannes kam, hat sie mich und meine Kinder mehr als herzlich aufgenommen. Sie war liebevoll, interessiert und hat uns bei unseren Besuchen umsorgt. Dann, vor etwa fünf Jahren, begann der Abschied … in die Demenz. Am Anfang noch schleichend und nur für aufmerksame Beobachter:innen zu bemerken, durch die Isolation in den Corona-Jahren dann ganz rasant und offensichtlich. Da gab es die Luise, die ich kannte nicht mehr. Sicher, der Körper war noch da, sie lächelte und war freundlich, aber ihre Vergangenheit, ihre Kindheit, ihre eigenen Kinder, … ihr ganzes Leben war verschwunden.

Wer bin ich – ohne meine Erinnerungen, meine Erfahrungen und Erlebnisse mit geliebten Menschen? Der Gedanke erschreckt mich.

Auch für Luise war die erste Zeit bestimmt schrecklich, zu merken und dann zu verschleiern, dass sie den Bezug zur Welt verliert. Sie wurde unsicher und still. Bei jedem Besuch war ein bisschen weniger von ihr zu finden.  Und so war auch für mich  und alle ihre Nächsten der Abschied lang und schmerzhaft.

Jetzt, nach ihrem Tod habe ich sie wieder gefunden.  Luise, meine Schwiegermutter. In meiner Erinnerung ist sie wieder da, die liebevolle, herzliche, interessierte Frau. Das ist sehr tröstlich!