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Leitkultur

„Ihr seid nur immer‚ dagegen‘. Zu ‚dafür‘ fällt euch nichts ein!“ Das schlug mir ein älterer Herr um die Ohren, als ich 15 war. Später wurde mir klar: Das war gar nicht mal so falsch. Er hätte nur wissen sollen, dass das für ihn genauso galt. Nein sagen, dagegen sein: Nichts leichter als das. Aber einleuchtend erklären, wofür man ist, das ist eine Kunst. Ich gerate schon bei der Frage ins Stottern, was es heißt, dass ich Christ bin. Dazu gehören so viele Mosaiksteine, kleine, große. Wenn ich die beschreibe, fange ich immer am falschen Ende an. Und selbst wenn alle beschrieben sind, sagt das noch nichts über das Gesamtbild.

Mir fällt Loriot ein, die zwei Herren im Bad: Herr Doktor Klöbner triumphiert: Er konnte länger unter Wasser bleiben. Aber Herr Müller-Lüdenscheid weist ihn zurecht: „Es gibt Wichtigeres im Leben. … Ehrlichkeit, Toleranz, … Mut, Anstand, … Hilfsbereitschaft, Tüchtigkeit, … Zähigkeit, Sauberkeit. … Es kommt auf den Charakter an.“ Klingt ein bisschen nach Leitkultur. Und eigentlich wäre ja keine dieser Tugenden grundsätzlich zu verdammen. Nur eben müsste die Liste erheblich verlängert, konkretisiert und um hunderttausend „Wenn“ und „Aber“ ergänzt werden.

Und die leidige deutsche Leitkultur? Wer darf sie – wie – festlegen? Müssen sich auch alle Deutschen dran halten? Warum tun sie’s bisher nicht?  Gibt es – außer der fast allgegenwärtigen Beliebigkeit – Grundwerte, denen wir uns verpflichtet fühlen? Leitkultur, ob man den Begriff mag oder nicht, ist zuallererst ein Anspruch an uns selbst. Wenn wir die Leitkultur erst mal mit Leben erfüllt haben und wenn sie gut geworden ist, wäre es sehr interessant herauszufinden, wie deutsch diese Leitkultur dann noch ist. Wenn Sie noch nicht die Freude dran verloren haben: Wann fangen wir an?