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Lebensmomente

„Also, wo habe ich’s denn nur? Es muss doch hier irgendwo sein!“

Ich wische und wische auf meinem Smartphonedisplay herum und suche das vermaledeite Foto für unseren Gemeindebrief. Die kleinen Vorschaubildchen huschen von unten nach oben und von oben nach unten. Mir wird schon ganz schwindelig.

Alles Mögliche taucht auf: Bilder vom letzten Urlaub, Preisschilder, Rezepte, Katzenfotos, Mutters toller Kuchen, der letzte Geburtstag, Essen bei Freunden, der leckere Italiener, usw. usw…. Nur das, was ich suche, finde ich einfach nicht.

Es ist zum Verzweifeln, und ich denke bei mir: „Du musst dringend ausmisten! Drei Viertel der Fotos guckst Du sowieso nie wieder an.“ „Oder vielleicht doch?!“ höre ich die kleine freche Stimme in mir sagen. Es ist die, die es mir immer so schwer macht, mich von den unwichtigen Fotos zu trennen.

Aber mal ehrlich: was nützen mir all diese Bilder, wenn ich sie mir eh nicht anschaue?!

Sicher, ein Foto ist eine nützliche Gedankenstütze, schneller als ein Notizzettel und mein Smartphone habe ich ja auch immer dabei. Fix ist da ein Foto gemacht, praktisch, einfach und schnell. Ja….und schnell auch wieder vergessen. Denn wie viele Fotos gucke ich mir wirklich nochmal an? An was für Selfies zum Beispiel kann ich mich noch bewusst erinnern?

Warum versuche ich eigentlich alles in meinem Leben krampfhaft mit Fotos und Videos einzufangen? Was für ein Aufwand! Und im Endeffekt für nichts!

Schade eigentlich, denke ich. Es ist wie mit allem: Wenn es zuviel von etwas gibt, ist es nichts mehr wert. Mit der steigenden Zahl von Photos, die ich ganz schnell und leicht in super Qualität mit dem Smartphone machen kann, sinkt der Wert dieser Photos. Viele davon wirken beliebig und austauschbar.

Das ist mir besonders aufgefallen, als ich neulich mit dem Zug unterwegs war und mir eine ältere Dame gegenüber gesessen hat. Sie hatte etwas bei sich, was im „Smartphonezeitalter“ immer mehr aus der Mode kommt: ein kleines Reisefotoalbum. In diesem kleinen Büchlein hatte sie all ihre wichtigen Fotos, erzählte sie mir: eins von ihrem Mann Heinz, mit dem sie 48 Jahre verheiratet war, eins mit den Kindern von ihrem 80. Geburtstag, dann natürlich ihre Enkelkinder und das erste Urenkelchen, das im Januar zur Welt gekommen ist. Man stelle sich vor: nur ein halbes Dutzend Fotos in der Handtasche, aber damit verbunden unendlich viele Erinnerungen. Zu jedem einzelnen Bild wusste die nette Dame so viel Lebendiges zu berichten.

„Sind diese sechs Fotos mit den schönen Erinnerungen nicht viel mehr wert, als 600 oder 1000, die ich mit dem Smartphone gemacht habe?“ frage ich mich, als ich es schließlich aufgebe, das Photo für den Gemeindebrief auf meinem Smartphone zu finden.

„Denn welchen Nutzen hätte der Mensch, wenn er die ganze Welt gewinnen und sich dabei selbst verlieren würde?“ (Lk 9, 25) An dem, was der Evangelist Lukas da geschrieben hat, ist schon was dran, denke ich. Was nützt mir die Photokamera in meinem Smartphone, mit der ich so schnell die ganze Welt um mich herum in hochauflösenden Photos einfangen kann, wenn ich mich dann später im Wust der Bilder verliere.

Dank der netten älteren Dame aus dem Zug hat bei mir etwas klick gemacht. Nämlich, dass ich nicht mehr immer „klick“ mit meinem Smartphone machen möchte. Damit mir bei der Flut von Bildern nicht mehr schwindelig wird. Ich tippe auf meinem Smartphone also:  Markieren – Löschen – Papierkorb entleeren. Jetzt ist wieder mehr Platz für die wirklich wichtigen Lebensmomente.