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Jeder kann was gut

„Jeder kann was gut und ich kann gut am Meer sitzen!“- das stand auf meiner diesjährigen Lieblingspostkarte aus dem Urlaub. Ein paar lässig übergeschlagene Füße ragen auf dem Bild dazu aus einem Strandkorb und es scheint plötzlich ganz einfach: jede kann was gut und ich – ich kann gut am Meer sitzen!

Vielleicht entstehen solche Leichtigkeiten ausschließlich im Urlaub, aber sie tun wohl, merke ich. Mir tut es gut zu lesen, dass alle etwas gut können. Ich fühle mich immer noch inspiriert von diesem leichten Satz: immer noch sinne ich nach, was ich als meine Gaben erlebe oder was andere vielleicht als meine Stärken erfahren.

Als ich nach den Sommerferien meine Aufgabe als Krankenhausseelsorgerin wieder aufnehme, gebe ich diesen Satz an andere weiter – am liebsten in Momenten erhöhter Anstrengung, die schon fast verzweifelt macht: Als die Schwester den korpulenten älteren Herrn zum dritten Mal lautstark ermahnen muss, jetzt im Bett zu bleiben, um ihm nicht noch ein viertes Mal aufhelfen zu müssen, unterstütze ich sie und sage dann: „Merkst Du: jede kann was gut und dieser Herr uns gut herausfordern“  Verdutzt blickt sie mich an und muss dann hinter ihrer Maske sogar lachen. Als wir auf dem Flur stehen, sagt sie: „coole Sichtweise, aber hilft“. Daraufhin gebe ich ihr den Originalsatz mit in ihren Tag und wir schwelgen noch ein wenig in Urlaubseindrücken, bevor der Arbeitsalltag die Krankenschwester wieder fest in den Griff nimmt.

Ja, es ist wirklich wichtig, die vielleicht eher befremdlichen Stärken anderer Menschen genauso wahrzunehmen, wie all das was aufgrund von Fehlern und Schwächen misslingt. Wie sehr das den Blick verändern kann, erfahre ich, als ich mit einem erkrankten Kind und dessen Eltern überlege, was sie wohl besonders gut können. Der Junge sagt: „ich bin raus, bei mir gibt’s da nix. Ich kann nichts gut!“ Seine Mutter errötet zwar, aber sagt tatsächlich noch hinterher: „naja, ich finde eben, er könnte sich mehr anstrengen. Da kommt zum Beispiel bei den Hausaufgaben einfach nichts raus. Er muss es ja mal lernen.“

Hey, jede und jeder kann was gut! Dazu muss ich mich nicht erst anstrengen! Kurz überlege ich, wie der Kleine seinen Mut wieder finden kann. Dann sage ich einfach: „gilt nicht, da ist niemand raus. Auch Du kannst etwas gut. Weißte, vielleicht kannst Du besonders gut auf stur schalten, wenn schon wieder jemand etwas von Dir will. Also, dann überlegst Du eben nicht, aber raus biste nicht. Wird weiterhin mitgemacht, ok? Er nickt.

Mein Glaube an den Gott, der uns einzigartig geschaffen hat und uns genauso liebt, hilft mir, die Leichtigkeit der Postkarte wirklich ins Leben zu lassen: Wir alle sind mit Grenzen und Möglichkeiten ausgestattet: was mir wie ein Kunststück erscheint – einen Schultag einfach nur durchhalten –, wirkt für andere vielleicht ungenügend, aber das bedeutet nicht, dass ich nichts kann! Stimmt: spüren und sehen, was die Gabe meines Gegenübers sein könnte, kann ich nur, wenn ich ihn oder sie mag. Wenn nicht, werde ich Fehler und Macken hervorheben und das erschwert das Miteinander deutlich.

„Jeder kann was gut und ich kann gut am Meer sitzen“ diese Postkartenweisheit klingt sehr schlicht, aber drückt viel Selbstachtung aus. Und die se wird genährt von dem, der uns genauso gewollt hat, wie wir eben sind und uns alle mit Gaben ausgestattet hat. Davon singen die alten Worte des Psalms: „Ich danke Dir, Gott, dass ich wunderbar gemacht bin. Wunderbar sind alle Deine Werke!“ Oder wie es Berthold Brecht ausdrückt: „Der Dich liebt, hat gesagt, dass er Dich braucht“

Probieren Sie es doch heute mal aus, sich selbst im Sinne dieser Postkartenweisheit zu begegnen: „Jeder kann was gut und ich kann gut am Meer sitzen.“ Klingt so einfach, aber macht das Leben unglaublich kostbar!