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In Traurigkeit mein Lachen

Geh aus mein Herz (Berliner Rundfunkchor, 0´00-0´15, dann langsam runterziehen und folgenden Text drüber)

Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber mir geht da jedes Mal das Herz auf, wenn ich diese Zeilen höre oder besser noch: singe. Geh aus mein Herz – Es ist ein Lied, in dem die Schönheit der Schöpfung interpretiert wird als Vorgeschmack auf das Paradies.

Dabei hat der Dichter des Textes, der evangelische Pfarrer Paul Gerhardt, überhaupt nicht auf der Sonnenseite des Lebens gestanden: als Waise aufgewachsen, verliert er später seinen Bruder an die Pest. Fast die Hälfte seines Lebens machen die Jahre des Dreißigjährigen Krieges aus. Als Paul Gerhardt nach dem Studium seinen Dienst als Pfarrer an der Berliner St. Nicolaikirche antritt, ist die Stadt entvölkert und zerstört. Dem tausendfachen Tod und Leid in dieser Zeit korrespondiert auch seine weitere tragische Familiengeschichte – 4 seiner 5 Kinder sterben im 1. Lebensjahr, und mit 61 verliert er zudem seine Frau!

„Doch gleichwohl will ich, weil ich noch/ hier trage dieses Leibes Joch,/ auch nicht gar stille schweigen; mein Herze soll sich fort und fort/ an diesem und an allem Ort/ zu deinem Lobe neigen, zu deinem Lobe neigen.“

Aber warum haben Paul Gerhardts Lieder die Jahrhunderte fast mühelos übersprungen, sprechen sie uns noch heute unmittelbar an? Warum haben sie selbst konfessionelle Grenzen gesprengt, stehen nicht nur fast 30 von ihnen im evangelischen Gesangbuch, sondern sind auch im katholischen zu finden?

Ich glaube, weil sie in unvergleichlicher Weise elementare menschliche Gefühle wie Angst, Schmerz, Hoffnung und Vertrauen ausdrücken und so Lebensmut und Glaubenszuversicht verbreiten und nicht billigen Trost!

Dazu kommt eine einzigartige Sprachbegabung: seine Texte machen aus trockenen theologischen Wahrheiten frische Glaubensbilder. Aus verstaubten Dogmen und Lehrsätzen wird unerschütterliches Vertrauen und Hoffnung auf einen liebevollen Gott hier auf Erden und  im Garten Eden!

Paul Gerhardt hat „Hits“ am laufenden Band produziert, die meisten sind ellenlang, aber nie langweilig. Es sind Lieder gegen Depression und Traurigkeit, von geradezu therapeutischem Wert auch in unserer heutigen Pandemie-Zeit! Trotzdem wären sie vielleicht längst vergessen und vergangen, wenn Paul Gerhardt nicht kongenialen Musikern begegnet wäre, die seine Lieder vertont haben. So ist er, neben Martin Luther, für mich der bedeutendste evangelische Liederdichter – und in Johann Sebastian Bachs Werken haben seine Lieder dann auch noch einen weltweiten Siegeszug angetreten!

Ein anderer Pfarrer, Dietrich Bonhoeffer, der vor 76 Jahren von den Nazis ermordet wurde, hatte noch 10 Jahre zuvor Paul Gerhardts Texte naserümpfend als „fromme Poesie“ abgetan. Aber in der Isolierhaft des Gestapo-Gefängnisses in Berlin hat auch er für sich die unvergleichlich tröstende Kraft von Paul Gerhardts Liedern entdeckt. So zitiert Bonhoeffer damals ein Lied, das – wie Geh aus mein Herz – ebenfalls aus dem Jahr 1653 stammt:

„Ist Gott für mich, so trete/ gleich alles wider mich, so oft ich ruf und bete, weicht alles hinter sich. Hab ich das Haupt zum Freunde und bin geliebt bei Gott, was kann mir tun der Feinde und  Widersacher Rott?“