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„In ihrer Mitte“ (Mt. 18,20)

Am Samstagabend haben wir uns getroffen. Wie ein Lauffeuer war die Nachricht rundge­gangen: „Wir dürfen wieder!“ Hinter ihren Masken hätte ich viele nicht erkannt, aber ge­spürt habe ich sie, als ich mit der Osterkerze in die abendliche Kirche einziehen durfte. Os­ternacht! Wir haben sie am 9. Mai gefeiert, und so die Präsenzgottes­dienste wieder aufgenommen. Zwei Meter Abstand voneinander mussten sein, und gern hätten wir gesungen – klar das ging natürlich nicht. Aber wir waren in Christi Namen zusammen. Rich­tig zusammen. Nicht am Computer, sondern in der Kirche. Und das war vielen ein Bedürfnis gewesen, nachdem am eigentlichen Osterfest die Kirche ge­schlossen bleiben musste.

Kirche in Corona-Zeiten ist anders und manchmal überraschend lebendig. Nach der Zwangs­pause von fast zwei Monaten haben es viele in unserer Gemeinde wie eine kleine Aufer­ste­hung erlebt, endlich wieder Gottesdienst feiern zu können – also richtig Gottesdienst, in der Kirche und gemeinsam! Schon eine Woche vorher hatte mein Telefon nicht mehr stillge­standen, ob wir die angekündigte neue Corona-Verordnung möglichst schnell umsetzen könnten und wieder Präsenzgottesdienste feiern. Wie stark dieser Wunsch war! Das hat mich überrascht.

Jesus sagt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Zusammen-sein, darum geht’s. Zusammensein kann allerdings viele Formen haben. Heute auch virtuelle. Als Jesus durch Galiläa gezogen ist, gab es noch keine Online-Meetings und Streaming-Gottesdienste. Hätte er die Möglichkeiten digitaler Kommunikation als Se­gen empfunden? Vielleicht.

Aber nach sechs Monaten Gemeindeleben unter Corona-Bedingungen habe ich die Erfah­rung gemacht, dass Angebote im Internet zwar gerne angenommen werden, wenn nichts anderes möglich ist, doch wie eine schlechte Ersatzdroge lassen sie den Wunsch nach „ech­tem Gottesdienst“ nur stärker werden. Als im Juli eine Urlaubsvertretung kurzfristig absa­gen musste, haben engagierte Gemeindeglieder keinen Augenblick gezögert, einen Lesegot­tesdienst auf die Beine zu stellen, damit die Kirchentüren auch an diesem Sonntag offen­bleiben konnten. Letzten Sonntag war die Kirche ausgebucht.

In Jesu Namen zusammen sein, das heißt offenbar, mit allen Sinnen spüren, wer da noch im Raum ist, betet und glaubt. Ich hätte nicht gedacht, dass diese Eindrücke so stark und wich­tig sind. Aber auch ein paar Versprengte in einer weiten Kirche fühlen sich zusammen, ja vielleicht mehr, als Hunderte daheim an ihren Rechnern. Erleben ist so viel mehr als Hören und Se­hen allein. Bei allem Nutzen, gerade in dieser Zeit: da stößt die elektronische Kom­munikation an ihre Grenzen.

„Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Wörtlich übersetzt heißt ‚mitten unter ihnen‘: „in ihrer Mitte“. Und das kann man so verste­hen, dass Jesus in der Mitte des gemeinsam von Menschen erlebten Raumes ist, wie auch im Herzen eines jeden und einer jeden von ihnen.  Wo Jesus in der Mitte ist, da erfüllt und verbindet er Menschen so, dass sie sich ganz, und nicht mehr allein fühlen. Wo Jesus in ih­rer Mitte ist, ist Gott den Menschen nahe. Und wo Hoffnung ist, dass es passiert, da darf auch eine Osternacht mit vier Wochen Verspätung gefeiert werden.