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In den Spiegel schauen hilft

Ich stehe in der Diele. Bevor ich die Wohnung verlasse, werfe ich noch schnell einen Blick in den Spiegel. Kann ich so unter die Leute gehen? – Kennen Sie diesen letzten prüfenden Blick in den Spiegel?

Anderen einen Spiegel vorhalten, das ist eine hohe Kunst. Die „politisch-literarische Fastnacht“, z.B. aus Mainz, hat diesen Anspruch: Den Spiegel vorhalten. Nicht aus purer Lust an der Provokation. Auch nicht ausschließlich zur Gaudi des Publikums. Mir darf das Lachen durchaus im Halse stecken bleiben, wenn ein Narr mir den Spiegel vorhält. Denn ich erkenne mich selbst; vor allem meine Schwächen und Unzulänglichkeiten!

Diese Art von Selbsterkenntnis und „Entlarvung“ hat eine lange kulturgeschichtliche Tradition. „Erkenne dich selbst“ war das Motto des Orakels von Delphi im antiken Griechenland. Die Selbsterkenntnis im Lichte des Wortes Gottes ist ein zentrales Thema der biblisch-christlichen Tradition.

In diesem „Spiegel des Glaubens“ sehe ich mich als Gottes Geschöpf, als sein Abbild. -Ich erkenne mich aber auch als ein in sich zerrissener, angefochtener Mensch. Ein schonungsloser Anblick.

Nicht nur aus purer Eitelkeit schaue ich in den Spiegel. Sondern als Möglichkeit der kritischen Selbstbetrachtung. Sternstunden sind, wenn ich über das Bild, das ich sehe mit anderen Menschen ins Gespräch kommen kann. Sehen mich die Anderen auch so? Oder ganz anders?  Sternstunden sind es auch, wenn ich mit Gott über mein Spiegelbild ins Gespräch komme.

Manchmal reicht da schon der morgendliche, flüchtige Blick in den Spiegel. Und das Gespräch beginnt! – Kann ich so unter die Leute gehen?