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Immer ein Lichtlein mehr

Die Kerze. Sie feiert Geburtstage mit mir. Sie macht aus einem Abendessen zu zweit ein Candlelight Dinner. Auf einem Grab zeugt ihr Licht davon, dass da noch jemand ist, der an den verstorbenen Menschen denkt.

Die Kerze. Sie steht für Einmaligkeit und Vergänglichkeit. Eine Kerze brennt und verschwindet. So wie das Leben: Es hat einen Beginn, dann verzehrt es sich, bis es am Ende verlischt. In den Religionen steht die Kerze aber auch für die Hoffnung, dass der Tod überwunden werden kann. Die Kerze spielt mit dieser Doppeldeutigkeit: Das Leben ist vergänglich, in ihrem Licht aber flackert ein Schimmer der Ewigkeit. Im wahrsten Sinne kerzengerade stehen die Kerzen, die der Künstler Gerhard Richter mit fotografischer Genauigkeit gemalt hat, im goldenen Schnitt seiner berühmt gewordenen Kerzenbilder. Stolz. Leuchtend. Auch sie: unvergänglich.

Das Licht, das die Kerze verstrahlt, symbolisiert auch Erkenntnis und Erleuchtung. Zum siècle des lumières, dem Zeitalter der Erleuchtung, haben die französischen Philosophen die Epoche der Aufklärung erkoren.

Morgen ist der erste Advent. Da wird in vielen Wohnzimmern die erste von vier Kerzen am Adventskranz angezündet. Zu den traditionellen Tannenkränzen mögen heute vielfältige Varianten an Gestecken oder Kerzenhaltern aus Metall, Holz oder Porzellan hinzugekommen sein; die Kerzen darauf mögen im Kreis oder in einer Linie angeordnet sein: Der Zauber aber bleibt. Der Zauber des Sonntag für Sonntag sich mehrenden und zugleich verzehrenden Kerzenlichts, das das Nahen von Weihnachten ankündigt.

Am Montag beginnt auch Chanukka, das jüdische Lichterfest. Es erinnert an die Rückeroberung Jerusalems im zweiten Jahrhundert vor Christus. Nach der Legende wurde beim Wiederaufbau des Tempels ein Fläschchen mit Lampenöl gefunden. Darin war nur Öl für eine einzige Nacht. Doch dann soll es zu einem Wunder gekommen sein: Das Licht brannte acht Tage lang. Deshalb wird Chanukka acht Tage lang gefeiert.

So unterschiedlich die Anlässe und Hintergründe der Lichtrituale in den Kulturen und Religionen sind – man denke noch an Diwali, das hinduistische Lichterfest -, so sehr bieten sie die Chance, sich miteinander im Schein des Lichts zu verbinden. Im Ritual schafft die Kerze erst den Raum, in dem etwas geschieht. Alle Aufmerksamkeit wird auf das Licht gezogen, und man ist einen Augenblick lang in einer anderen Welt, weit weg vom Alltag. Das Kerzenlicht vereint. Alle stellen sich unter dasselbe Licht und lassen einander Anteil haben an Wärme und Erleuchtung.

Die religiöse Bedeutung hinter vielen Ritualen, auch den Kerzen- und Lichtritualen, ist heute, in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft, oft nicht mehr bekannt. Kerzen sind ein Einrichtungsgegenstand geworden. Sie werden genutzt, um eine wohlige Atmosphäre zu schaffen, sie sind Ausdruck von Gemütlichkeit. Ein wenig Magie schwingt aber immer mit. Wer mag schon darauf verzichten, Kerzen auf dem Geburtstagskuchen auszublasen und sich dabei insgeheim etwas zu wünschen? Und Alice im Wunderland sinniert, als sie ins Kerzenlicht schaut: Wie eine Kerzenflamme wohl aussieht, nachdem sie ausgegangen ist?

Wer von Licht und Kerzen genauso fasziniert ist, dem seien zwei Konzerte in Saarbrücken ans Herz gelegt, beide am 4. Dezember. Um 18 Uhr führen Chöre und Musiker um die Künstlerin Amei Scheib ein interkulturelles Winterkonzert in der Kirche St. Paulus auf. Es steht unter dem Titel „Licht“. Und um 20 Uhr lädt die Synagoge am Beethovenplatz zum Advents- und Chanukkakonzert ein.

Immer ein Lichtlein mehr – dass sie leuchten uns durch die dunklen Stunden.