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Im Voraus gesalbt

Sie wollen es nicht wahrhaben. Und wer will es ihnen verdenken. Keiner spricht gerne über den Tod. Schon gar nicht mit demjenigen, den das in besonderer Weise betrifft, der kurz davor steht zu sterben. Jesus hat gesagt: Ihr werdet mich nicht mehr lange haben. Aber genau das wollen sie weder glauben noch hören. Und wenn er es noch so oft wiederholte. Und wenn es noch so viele Anzeichen gibt, die seine Äußerungen bekräftigen. Sie wollen es einfach nicht hören, wollen es nicht wahrhaben.

Da war es ihnen lieber, über die Begegnungen der letzten Tage zu reden. Über die starken Reden, die Streitgespräche, die er geführt hat. Teilweise in Bildern, die doch jeder sofort verstanden hat, wenn er sich darauf einließ. „Weißt du noch, was er über die Weingärtner gesagt hat, die dem Besitzer des Weinberges die Pacht verweigern? Die nicht mal davor zurückschrecken, den Sohn des Weinbergbesitzers zu töten. Weil sie denken, mit dem Tod des Sohnes wird ihnen der Weinberg übertragen. War das nicht stark ausgedrückt?“ Aber sie denken das Bild nicht zu Ende. Der Weinbergbesitzer. Das ist Gott. Und der Sohn? Jesus Christus selbst natürlich. Aber das wollen sie eben nicht wahrhaben.

Andere Worte kommen ihnen in Erinnerung. Über die wichtigsten Gebote, die jeder jüdische Mensch beachten muss. Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft. Ja, das ist das wichtigste Gebot. Damit kann man leben. Das kann man den Leuten immer wieder sagen, um sie alle zu begeistern. Und Jesus hat ein weiteres Gebot ergänzt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Wohl bekannte Worte aus den jüdischen heiligen Schriften. Jetzt von ihm noch einmal deutlich hervorgehoben. Das war beeindruckend. Auch wie er den Menschen begegnet ist, mit denen sonst niemand etwas zu tun haben will. Kranken zum Beispiel, Aussätzigen. Von allen wurden sie gemieden. Aus Angst. Aber Jesus ist zu ihnen hingegangen wie zu jedem Menschen.

Darüber wollen sie reden. Mit den Leuten in Jerusalem und auch, wenn sie beieinander sitzen. Das macht ihnen Mut. Und hilft, die anderen Töne zu überhören oder zu verdrängen, die in den letzten Tagen immer wieder aufgekommen sind.

Da platzt in ihre Runde plötzlich eine Frau, die sich ihnen für immer ins Gedächtnis brennen wird. Sie sagt kein Wort. Kommt in das Haus, in dem sie selbst zu Gast sind. In das Haus von Simon, dem Aussätzigen. Die Frau kommt rein, packt ein Gefäß mit kostbarem Nardenöl aus, öffnet es und gießt das Öl auf sein Haupt. Ohne ein Wort. Ohne zu fragen. Natürlich ärgern sie sich. Wie kann sie es wagen? Was hat sie sich überhaupt dabei gedacht? Hier einzudringen in ihre Runde. Und dann auch noch diese Verschwendung. Das Nardenöl ist ein Luxusartikel. Wenn man es verkauft, kann man etliche Arme damit unterstützen. Auch ihren Gastgeber, Simon, den Aussätzigen. Es sind durchaus wichtige Argumente, die sie hier anführen. Aber sie haben doch nur den einzigen Zweck: Zu verdrängen, worum es eigentlich geht.

Jesus bringt es auf den Punkt: „Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.“

Da ist es raus. Wieder einmal. „Sie hat meinen Leib zu meinem Begräbnis gesalbt.“ Den Satz, den sie nicht hören wollen. Jesus sagt ihn wieder. Diese Frau hat ihm etwas Gutes getan, was weit über diesen Moment hinaus wirkt. Das muss gesagt werden. Sie hat auch – bewusst oder unbewusst – den Jüngern etwas Gutes getan, was die allerdings erst im Nachhinein entdecken. Das Sterben verliert seinen Schrecken. Jesus möchte, dass sie darüber reden, dass wir darüber reden. Denn er weiß zu diesem Zeitpunkt schon: wir gehen immer auch auf Ostern zu.