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Ich bin hier

Es fängt harmlos an. Markus93 postet eine Nachricht über Greta Thunberg. Dazu ein Daumen-Runter-Emoji und den Satz: „Die Göre mit den Zöpfen hat mal wieder was zu melden.“ Und dann geht es ganz schnell. Ein bösartiger Kommentar nach dem anderen füllt den Bildschirm, die Schreiberinnen und Schreiber schaukeln sich gegenseitig hoch in ihrer Häme gegen die Klimaaktivistin.

Ich bin überrumpelt von der Geschwindigkeit und auch überrascht davon, wie viel Angriffsfläche Greta Thunberg zu bieten scheint für Menschen, die ein Ventil suchen für ihren Hass. Sie ist jung und weiblich, sie ist Autistin, sie legt den Finger in die Wunde der menschengemachten Klimakrise. Für die einen ist die Schwedin ein Vorbild, für die anderen ein Ziel für Hass.

„Nun mach schon“, rufe ich mich selbst zur Raison. „Du kannst denen doch nicht das Feld überlassen.“ Aber was soll ich schreiben? Ich versuche es mit: „Also ich finde Greta cool. Wo ist das Problem?“ Die Reaktionen lassen nicht lange auf sich warten. Markus93, Socke18 und Nightmare haben ihr Pulver gegen Greta Thunberg noch lange nicht verschossen. Ich versuche dagegen zu halten, fühle mich aber unbeholfen und alleine gelassen. Bis Majestic mir beispringt und ein Bild von einem traurigen Eisbären auf einer schmelzenden Eisscholle postet. Untertitel: „Klimawandel ist kein Fake.“ Ich like seinen Beitrag und fühle mich schon ein bisschen stärker. Weitere Unterstützer kommen dazu, bis die Hassredner ihr Interesse an der Diskussion verlieren.

Kurz darauf verschwindet der Chat und ein Dutzend Kachelbilder von Frauen und Männern erscheint auf meinem Bildschirm. Wir streifen die Rollen, in die wir geschlüpft waren, gedanklich ab. Der Chat war nur simuliert, und die virtuelle Simulation war Teil eines Bootcamps, also einer Einführungsveranstaltung, des Vereins ichbinhier. Hier lernen die Teilnehmenden Gegenrede oder „Counter Speech“. Sie üben, wie sie auf Hasskommentare im Internet reagieren können.

ichbinhier klärt auf über die Ursachen von Hassrede, ihre Verbreitung und ihre Auswirkungen, und die überwiegend jungen Leute unterstützen dabei, sich gegen digitale Angriffe zu wappnen. Es geht dem mit vielen Preisen ausgezeichneten Verein aus Hamburg um gelebte Demokratie und digitale Zivilcourage.

Über unsere Erfahrungen im Rollenspiel tauschen wir uns anschließend mit den Trainerinnen von ichbinhier aus. Alle Teilnehmenden sind sowohl in die Rolle eines Trolls geschlüpft, also einer Person, die im Netz verbal zündelt, als auch in die Rolle einer Gegenrednerin. Ich habe am eigenen Leibe erfahren, wie leicht man sich im anonymen Raum ungefiltert in Rage reden kann – aber auch, wie schnell man daran die Lust verliert, wenn sich auf der anderen Seite ein paar Leute zusammentun und dem Hass etwas Positives entgegensetzen.

Hate Speech im Internet betrifft alle. Dabei ist es nur eine kleine Gruppe, die ihren Hass lautstark und durch Algorithmen sichtbar platziert in die Kommentarspalten tippt. Oft entsteht der Eindruck, dieser Hass spiegele die gesamte Gesellschaft wider. Das nimmt vielen den Mut, am demokratischen Diskurs teilzunehmen. Um dagegen zu halten, braucht man Handwerkszeug. Das kann man lernen, und dann heißt es in der Praxis zu üben.

Die Gruppe, mit der ich an der Schulung teilgenommen habe, hat sich in einem Projekt „Nein und Amen. Gläubige gegen Rechts“ der Evangelischen Kirchengemeinde Schafbrücke zusammengefunden. Eine Schulung von ichbinhier kann aber jeder buchen. Egal, ob für eine Gruppe, eine Firma oder einen Verein. Je mehr Menschen sich engagieren, desto besser. Es werden viele gebraucht für eine konstruktive Diskussionskultur.