Hoffnungsstur
Die Kiefer trotzt. Ich sehe sie morgens beim Spazierengehen durch ein Wohngebiet, das ziemlich am Hang liegt. Sie windet sich windschief am Haus entlang, um stolz das Haus zu überragen. Es ist ziemlich windig und Sprühregen macht sich auf meinen Brillengläsern breit. Stolz und erhaben. So steht die Kiefer da. Es sind solche Momente, wo sich Sätze in meinem Kopf einnisten. Die Kiefer trotzt. Sie trotzt dem Wind, dem Regen, dem Schnee und der Hitze. Sie kümmert sich nicht um sich verändernde Rahmenbedingungen, sie trotzt und steht fest.
Trotz ist eigentlich nicht so mein Lieblingsthema. Mir fällt sofort der Kollege ein, der sich gestern nicht einkriegen konnte und sagt: „Hier habe ich immer geparkt, und hier parke ich auch zukünftig. Ich lasse mir doch nicht vorschreiben, wo ich ab jetzt zu parken habe!“ Oder einige Freunde meiner Kinder, die am Mittagstisch rumnölen „Nein, den Frischkäse esse ich nicht, zu Hause sieht der anders aus. Und übrigens, Nudeln esse ich nur ohne Sauce!“
Solche Trotzreaktionen nerven mich kolossal. Es ist doch komplett unnötig, sich das Leben so schwer zu machen, anstatt mal 3 Millimeter meine innere Position zu verändern und neu zu denken. Trotz provoziert und führt nicht immer zum Ziel. Manche sagen zu solchen Leuten: „Sei nicht so stur!“ Aber ist Sturheit nicht was anderes? Ich denke ja. Sturheit ist was anderes. Positiveres. Manchmal dringend notwendig.
In dem Gedicht „Durchgeschüttelt“ von Maria Sassin kommt dies für mich zum Ausdruck. Es berührt mich. Da heißt es:
es rüttelt mich das Leben
unbarmherzig zerrt es an mir
mit den Anforderungen des Alltags
mit Problemen, Schicksalsschlägen
ganz durcheinander wirbelt mich
die Überfülle manch langer Tage
es zerreißen mich Entscheidungen
Eindrücke stürmen auf mich ein
sprengen fast die volle Seele
durchgeschüttelt werde ich
erschöpft und weh das Herz
täglich neu vertrauen fällt schwer
und doch, ich weiß, alles ist gut
hoffnungsstur innehaltend gewahre ich
herrlich angeordnete Mosaikmuster
wunderbar regenbogenfarben
mein Leben –
Kaleidoskop
in Gottes Hand.
Vielleicht nicht so leicht zum Hören. Aber so wie im Gedicht von Maria Sassin ist mein Leben manchmal wirklich. Diese Hoffnungssturheit ist mein Weg, mit allen Stürmen und Widrigkeiten umzugehen. Das habe ich für mich herausgefunden. Ich bin und bleibe hoffnungsstur. Darin steckt ein überzeugtes Dennoch. Ein Trotz allem. Oder ein saarländisches Gradselääds.
Aber nicht nur ich bin stur. Gott selbst ist auch stur. Deshalb kann ich auch nur hoffnungsstur sein. Stur sein in der Hoffnung und Erwartung, dass es diesen Schöpfergott gibt, der an mir und dieser verrückten Welt festhält, mit mir geht, mich hält und mich nicht loslässt. Trotz allem. Dennoch. Gott gibt mir dieses Versprechen und ich antworte mit meinem Glauben, der nicht sieht und doch vertraut, und den ich in Worten der Bibel aus Psalm 73 ins Herz geschlossen habe:
Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehre an.
Ein trotziges Loblied eines Musikers aus der Bibel. In ihm steckt beim Lesen des ganzen Psalmes die Kraft der Sturheit. Egal, was andere machen, denken und wie sie ihr Leben gestalten, ich bleibe mit Gott und seiner Liebe verbunden. So halte ich den ein oder anderen trotzigen Mitmenschen aus und bleibe innerlich standhaft wie die trotzige Kiefer. Ich beuge mich nicht den Befindlichkeiten dieser Gesellschaft, den wechselnden Stimmungen meiner Umgebung. Ich lasse mir nicht einreden, dass alles viel schlimmer wird. Ich bleibe hoffnungsstur.