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Hörzu

Werbung auf der digitalen Anzeige in der Innenstadt: Hörzu. Eine Fernsehzeitung meiner Kindheit. Bei Oma und Opa gab es die jede Woche neu. Hörzu.

„Hör doch mal zu!“ Wie oft sage ich das zu Hause.

„Hörzu, und schau mich am besten dabei an!“ Damit hoffe ich, dass das Gesagte besser bei meinen Kindern ankommt.

Zuhören ist anstrengend. Also, echtes Zuhören. Und ganz anders als das unfreiwillige Zuhören neulich im Zugabteil. Telefonate mit Lautsprecher, fremde Musik, laute und unangenehme Nebengespräche von Mitreisenden, die mich nicht die Bohne interessieren.

Zuhören ist anstrengend und anspruchsvoll. Bei manchen Gesprächsanfängen habe ich sofort einen inneren Fluchtplan. Schnell raus hier. Ich möchte einfach auch nicht alles hören: Der alte Mann, der sich über die Preise aufregt, Nachbarn, die über das Wetter klagen, die Kioskverkäuferin, die sich über alle Politiker beschwert. Zuhören ist lästig.

Manchmal stelle ich mir Gottes Ohren vor und frage mich, wie er das schafft, 24/7 zuzuhören. Klagen und Bitten – aber hoffentlich auch mal Dankeschön. Meine Vorstellung von Gottes Dauerbereitschaft zum Zuhören hat sich mir früh eingeprägt. Meine Oma nahm mich in eine kirchliche Kindergruppe mit, da lernte ich einen Psalmvers auswendig, der mir bis heute nicht aus dem Kopf geht. „Ruf mich an in der Not, und ich will dir helfen“. Gott hat kein Telefon, aber ein offenes Ohr.

Hörzu. Hör mir bitte zu. Und bitte bis zum Ende. Schau nicht auf dein Handy, und sei in Gedanken einfach mal da. Das wünsche ich mir, wenn ich mal jemanden zum Zuhören brauche. Ich weiß, wie schwer das ist. Oft eine Zumutung. Denn nicht nur andere jammern – ich auch.  Es geht nicht nur um das Ohr, das mir dann geschenkt wird, sondern um die Bereitschaft, sich mit mir und meinen Bedürfnissen ernsthaft zu beschäftigen. Bei Gott bin ich mir da sicher, für meine unmittelbaren Mitmenschen ist das eine Herausforderung.

Ich weiß, vielleicht ein hoher Anspruch. Aber andererseits macht manchmal genau dieses echte Zuhören den Unterschied. Alicia Keys besingt genau das in ihrem Lied „Underdog“: über eine Person, die auf der Straße, im Taxi, Menschen begegnet, die es nicht einfach im Leben haben. Sie hört zu und wird angerührt von dem, was sie hört. Ein Namenloser ohne Wohnung, ein Taxifahrer mit Fluchtgeschichte. Sie lässt sich drauf ein, neigt ihr Ohr, sperrt ihr Herz weit auf und erlebt eine Veränderung in sich selbst.

Ich habe diese Erfahrung auch gemacht: nur durch das Erzählen der Anderen höre ich, wie Leben eben auch sein kann. Wie der Schein trügt. Wie ich mit Vorurteilen durch mein Leben gehe.

Das Lied „Underdog“ ist ein bisschen sozialromantisch. Aber warum eigentlich nicht? Es beschreibt den kleinen Moment, die unscheinbare Begegnung, die mich neu ausrichtet, mich neu sortiert. Einfach weil ich zuhöre.

Es ist manchmal simpel. Zuhören. Hörzu.