Hinschauen
Der erste richtig warme Frühlingstag. Ein Gartengrundstück in einem Saarbrücker Naherholungsgebiet. Kindergeburtstag meiner vierjährigen Enkeltochter Emma. 10 Kinder durfte sie einladen. Kuchen, Kakao und Limo gab es schon. Dann tolle Spiele. Eine Schatzsuche. Natürlich ist keines der Kinder dabei leer ausgegangen.
Nun toben die Kinder auf dem Rasen herum. Ab und zu fällt eines hin oder stößt sich irgendwo. Dann gibt es ein paar Tränen. Aber nur kurz. Schnell wieder Lachen. Laut ist es. Unbeschwert laut. Und zwischendrin Emma. Strahlend. Auch stolz, es ist ja ihr Fest. Sie ist selig.
Ich möchte am liebsten stundenlang zuschauen.
Abends dann die Nachrichten. Unicef, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen schlägt Alarm. 2016 war das bisher schlimmste Jahr für Kinder im syrischen Bürgerkrieg. Mehr als 2500 Fälle von direkter Gewalt und Verstößen gegen die Rechte von Kindern wurden offiziell dokumentiert. Wie hoch die Dunkelziffer ist, weiß niemand. 652 Kinder wurden bei den Kämpfen getötet. Mehr als 850 Minderjährige wurden als Soldaten rekrutiert. Viele mussten kämpfen. Einige waren an Kriegsverbrechen beteiligt. Das Fernsehen liefert Bilder zu den Zahlen: Kämpfende Kinder. Verletzte Kinder. Tote Kinder. Leere Blicke. Kinder mit uralten Gesichtern. Sie sind ganz verloren.
Ich möchte am liebsten wegschauen. Aber wegschauen gilt nicht. Wegschauen gilt nie.
„Ich habe auf das Elend meines Volkes geschaut“, steht in der Bibel. Gott schaut auf die Not von Menschen. Und bleibt nicht unberührt, sondern wendet die Not. Hinschauen ist immer der Anfang der Veränderung zum Guten.
Ich weiß nicht, wie ich den Kindern in Syrien helfen kann. Aber ich schulde es ihnen, hinzuschauen. Was daraus folgt, wird sich zeigen. In jedem Fall aber verändert das Hinschauen mich. Und deshalb ist es das Mindeste, was ich für die Kinder in Syrien tun muss.