Hexenparty
Neulich musste ich auf eine Party. Ich bin ja kein Partytyp, aber es gibt gesellschaftliche Verpflichtungen. Ich kannte die Leute dort eigentlich nur aus Erzählungen meiner Frau: „Der Müller Zwo da, der geht mir vielleicht auf die Nerven mit seinem Gelaber!“ Umgekehrt wussten die Leute auf der Party schon, dass ich Pfarrer bin.
Tja, und deshalb kam so sicher wie das Amen in der Kirche irgendwann das Thema „Christentum“ auf mich zu. Natürlich von diesem Müller Zwo. Der setzt sich neben mich, platziert seinen Teller vor sich, gut gefüllt mit Häppchen vom Buffet. Ich halte verstohlen Ausschau nach meiner Frau – aber die steht bei Kolleginnen und sieht nicht, dass sie mich retten muss.
Müller Zwo kommt gleich zur Sache: „Sie sind doch Pfarrer, gell? Die Kirche hat doch seit Jahrhunderten Dreck am Stecken, finde ich!“ Sagts und schiebt sich ein Garnelenspießchen in den Mund.
„Kann man so sehen“, entgegne ich und hoffe, er hört es als Zustimmung. Aber eigentlich weiß ich: aus der Nummer komme ich nicht raus. Stellt sich nur noch die Frage, was jetzt konkret kommt. Missbrauchsfälle? Kreuzzüge? Judenhass? Oder…
“…im Mittelalter, die Millionen weiser und kräuterkundiger Frauen, die als Hexen verbrannt wurden!“
Aha, diesmal also Hexenverbrennungen. Da kenne ich mich inzwischen aus: „Stimmt“, sage ich, „aber es waren keine Millionen, sondern seriös geschätzt 30.000. Schlimm genug. Es war auch nicht im finsteren Mittelalter, sondern eigentlich in der frühen Neuzeit. Und jede vierte Hexe – war ein Mann. Im Grunde konnte es jeden treffen, Männer wie Frauen, einfache Leute bis hin zu Priestern.“
Mein Gegenüber schaut mich erstaunt an: „Hat die Kirche ihre eigenen Pfaffen auf den Scheiterhaufen gebracht?“
Ich lasse den „Pfaffen“ unkommentiert und erzähle ihm, dass man zwischen Ketzerprozessen und Hexenverfolgung unterscheiden muss. Sicher, katholische Dominikanermönche aber auch Männer der Reformation wie Martin Luther und Johannes Calvin glaubten an Hexerei. Sie befürworteten die Todesstrafe und besorgten die religiöse Begründung der Hexenverfolgung. Die Hauptantreiber waren aber weltliche Machtinhaber. Ja, es gibt sogar Fälle, da versuchte die Kirche, den verhängnisvollen Eifer zu bremsen. Das erzähle ich ihm.
„Beeindruckende Verteidigungsrede“ sagt er ein wenig spöttisch, aber auch nachdenklich. „Donald Trump in den USA spricht auch von >witchhunt<, dass es ihm ergeht wie bei einer Hexenverfolgung. Er als Opfer. Denunziert seine Gegner, versucht sie moralisch zu vernichten. Und fromme Christen sagen „Amen“ dazu. An solchen Machtspielchen darf sich die Kirche doch eigentlich nicht beteiligen, oder?“
Jetzt bringt er mich zum Nachdenken, der Müller Zwo. Macht und Moral, das hat noch nie gut zusammengepasst. „Ich halte mich an Jesus. Der hat sich zu denen an den Tisch gesetzt, die nicht dazugehörten, die ausgestoßen waren. Nicht zu den Mächtigen. Würde mich nicht wundern, wenn er mit den vermeintlichen Hexen über Krankheiten und Kräuter diskutiert hätte. Ist ja überhaupt eine gute Idee, beim Essen zusammenzusitzen und über Gott und die Welt ins Gespräch zu kommen!“
Müller Zwo nickt und bietet an, mir einen Nachtisch vom Büffet mitzubringen. Überrascht stelle ich fest, dass ich mich darüber freue. Vielleicht werde ich doch noch zum Partytypen.