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„Herbstgefühle“

Klein:

Es ist Herbst. Da geht es manchen so, wie es Rainer Maria Rilke es als Herbstgefühl beschreibt:

 

Sprecher:

„Herr: Es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg Deinen Schatten auf die Sonnenuhren,

und auf den Fluren lass die Winde los! Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.

Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben…“

 

Klein:

Nicht umsonst sind die Jahreszeiten seit jeher Spiegel unserer Gemütslage und zugleich Bild für unsere eigene Lebenszeit. Mit den Worten des Dichters Friedrich Rückerts:

 

Sprecher:

„Du, dieses Jahres Abend, Herbst, sei meines Lebensabends Bild, wie langsam Du den

Hain entfärbst, und Deine Sonn ist frühlingsmild.“

 

Klein:

Da ist der Neubeginn der Natur im Frühlingserwachen, die Zeit von Geburt, Kindheit und Ju-

gend; da ist die Glut des Sommers mit der Fülle seiner Gaben, die Zeit der Liebe, des Reifens

und Erwachsenwerdens; da ist die Schönheit des Herbstes, die Zeit der Ernte meiner Lebens-

leistung und des Altwerdens. Aber dann kommt schließlich auch der Winter, die Zeit der Kälte, der Vergänglichkeit und des Sterbens der Natur. Ingeborg Bachmann dichtet:

 

Sprecherin:

„Es kommen härtere Tage/die auf Widerruf gestundete Zeit/wird sichtbar am Horizont

Bald musst Du den Schuh schnüren.“

 

Klein:

Gestundete Zeit, das ist die Zeit der Gebrechlichkeit und des Todes: „es kommen härtere Tage“. Diese Zwiespältigkeit oder Mehrdeutigkeit der Herbstgefühle hat also immer wieder Poeten inspiriert. Auch ich genieße im Herbst immer gerne den sogenannten „Altweiber-

Sommer“, die Schönheit goldener Herbsttage! Aber  m e i n  Herbstgefühl gibt sich nicht damit zufrieden. Ich halte es da lieber auch mit der realistischen Ansicht und Lebensweisheit der Bibel

 

Sprecher:

„Alles hat seine Zeit/geborenwerden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit/pflanzen hat  seine Zeit und ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit./ Er(Gott) hat alles schön ge

macht zu seiner Zeit -/ nur, dass der Mensch nicht ergründen kann/das Werk, das

Gott tut, weder Anfang noch Ende.“

 

Klein:

Wenn ich das weiß, kann ich auch in das Gebet des Psalmdichters einstimmen:

 

Sprecher:

„Herr, auf Dich traue ich./Du bist mein Gott/meine Zeit steht in Deinen Händen!“

 

Klein:

Es sind mein Gottvertrauen und mein Glaube, die einem solchen Zeitgefühl zugrunde liegen!

Mit 76 Jahren weiß ich, dass mein Lebensende immer näher rückt, aber ich kann meinen Tagen im Sinne der Bibel nichts dazu tun noch weg tun, denn „Meine Zeit steht in

Deinen Händen“. Dann aber, und umso unbeschwerter, kann ich auch die Herbst- oder Win-

terzeit meines Lebens genießen, weil ich wie der Prediger Salomo glaube:

 

Sprecher:

„…dass es nichts Besseres gibt, als fröhlich sein/. Denn ein Mensch, der da isst und

trinkt und hat guten Mut bei all seinen Mühen/, das ist eine Gabe Gottes.“

 

Klein:

Ja, so ist es, sage ich mir, die Zeit kommt und geht mit Hoffnung, Liebe und Glück, aber auch

mit Schmerzen, Trauer und Leid. Nichts davon geht bei Gott verloren! Und dann müssen wir auch nicht mehr ständig auf der Suche nach der verlorenen Zeit sein.

Dann kann ich mir auch die Herbstwünsche meines Pfarrer-Kollegen Heinz-Günter Beutler-Lotz zu eigen machen:

 

Sprecher:

„Wurzelschlagen

In der Zeit

Und den Sturm aushalten,

Das wünsch ich dir und mir:

 

Im Wind wiegen

Ohne zu brechen.

Im Sturm singen

Trotz allen Leids.

 

Wurzelschlagen

In der Zeit

Und den Sturm aushalten.

Das wünsch ich Dir und mir!“