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Helfen und Loslassen

„Wenn du zum Helfen berufen bist, ist es tröstlich, jemandem zu begegnen, dem es schlechter geht als dir selbst, am besten viel schlechter“, denkt Asta. „Augenblicklich durchströmt dich warm ein Gefühlsgebräu, dessen Hauptbestandteile Mitleid und Tatendrang sind.“ Asta ist die Hauptfigur des aktuellen Romans „Drehtür“ von Katja Lange-Müller. Nach 22 Jahren im Dienst internationaler Hilfsorganisationen ist Asta unfreiwillig nach Deutschland zurückgekehrt. Nun weiß sie nicht, wie es weitergehen soll. Wohl gefühlt hat sie sich immer nur, wenn sie gebraucht wurde.

In den Episoden ihres Romans beleuchtet Katja Lange-Müller das Helfen von vielen Seiten. Sie beschreibt das Machtgefälle, das entsteht zwischen denjenigen, die helfen können, und denen, die Hilfe annehmen müssen. Asta, die Berufshelferin, stellt dabei auch fest, dass „die Helferei riskant, erregend riskant ist. Du stehst mit einem Bein im Misserfolg. Dafür, zum Ausgleich gewissermaßen, stehst du mit dem anderen in so etwas wie irdischer Heiligkeit.“ Katja Lange-Müllers Roman ist in einer Zeit erschienen, in der das Helfen eine vielleicht nie dagewesene Dimension in Deutschland angenommen hat. Insbesondere in Form der Flüchtlingshilfe. Es ist überaus bemerkenswert, wie viele Menschen sich bei der Ankunft der Flüchtlinge ganz persönlich engagiert haben und dies noch immer tun. Sie handeln menschlich, und sie stärken den Zusammenhalt in unserer brüchig gewordenen Gesellschaft. Darüber kann man sich gar nicht genug freuen.

In meinen Begegnungen mit Flüchtlingen und Helfern habe ich jedoch manchmal auch etwas von dem Unbehagen gespürt, das Katja Lange-Müller in ihrem Buch ausdrückt: Wenn etwa eine Familie kaum mehr ein Privatleben hat, weil wohlmeinende Helfer überbordend viel Zeit an ihrem Esstisch verbringen; wenn die eigenen Wünsche und Träume von einem gelingenden Leben in Deutschland auf der Strecke bleiben, weil andere meinen, für sie entscheiden zu müssen; wenn jemand ob der vielen Hilfe immer passiver statt selbstständiger wird; wenn Ehrenamtliche sich überfordern. Wer haupt- oder ehrenamtlich hilft, tut gut daran, über das Helfen nachzudenken. Es ist wichtig, rechtzeitig loszulassen und Menschen wieder zuzutrauen, dass sie ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten können. Flüchtlinge, auch im Saarland, haben inzwischen begonnen, eigene Vereine zu gründen. Das ist ein starkes Zeichen dafür, dass sie – bei aller Dankbarkeit für die große Unterstützung – nicht mehr nur Objekt helfenden Handelns sein, sondern auch wieder auf eigenen Füßen stehen wollen.

Eine gute Orientierung für eine angemessene Form des Helfens bietet das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter im Lukasevangelium. Zur Erinnerung: Ein Mann ist überfallen worden. Mehrere Vorbeiziehende lassen ihn links liegen. Der Samariter hilft ihm. Er tut das in vier Schritten. Erstens: Er rettet den Mann, indem er seine akuten Verletzungen versorgt. Zweitens: Er bringt ihn in einer Herberge in Sicherheit. Drittens: Er versorgt ihn und redet mit ihm. Und viertens: Er geht weg und lässt dem Herbergswirt Geld da, verbunden mit der Bitte, dieser möge sich weiter um den Verletzten kümmern. Der Samariter lässt aus der Hilfebeziehung keine Beziehung werden, in der sich zwei Menschen auf Gedeih und Verderb aneinander binden. Der Helfende vernachlässigt seine eigenen Bedürfnisse nicht, und der andere gerät nicht in Abhängigkeit.

Ich denke, das ist etwas, dass auch Katja Lange-Müller gefallen würde. In ihrem Roman „Drehtür“ geht es ihr ja gerade darum, einander so zu helfen, dass niemand auf der Strecke bleibt. Mit Vernunft und dem richtigen Maß. Als die Schriftstellerin in einem Interview danach gefragt wurde, unter welches Motto sie das Buch stellen würde, antwortete sie mit einem japanischen Sprichwort. Es lautet: „Lass dir aus dem Wasser helfen, du wirst sonst ertrinken, sagte der freundliche Affe zum Fisch und setzte ihn in einen Baum.“