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Heimkehr

Seit damals hatte sie ihn nicht mehr gesehen, nicht mehr gesprochen. Nichts mehr von ihm gehört. Es war ein schlimmer Streit damals: Ihr Mann war gerade gestorben. Sie war völlig am Boden. Da kam ihr Sohn und wollte Geld, viel Geld. Weit mehr als nur den Pflichtteil. Er wollte das Geld in seine Firma stecken, investieren in die Zukunft, wie er sagte. Die Bank gab ihm längst keinen Kredit mehr. Böse Worte fielen damals zwischen ihr und ihrem Sohn. Sie war verunsichert, verstört und traurig. Er wurde laut. Doch sie blieb hart. Dann fiel die Tür laut krachend ins Schloss. Nach Ihrem Mann hatte sie nun auch ihren Sohn verloren.- Und sie litt sehr darunter. Jedes Jahr um diese Zeit war es besonders schlimm! Hätte sie doch über ihren Schatten springen sollen, damals? Seinen Forderungen nachgeben? Wäre dann alles vielleicht ganz anders gekommen? Aber er hätte doch auch auf sie zugehen können. Ein klein wenig mehr Verständnis für sie aufbringen. Sie war doch schließlich auch in einer absoluten Ausnahmesituation. Wie es ihm wohl heute geht? Ob er Familie hat? Ob er glücklich ist?

Das Klingeln reist sie aus ihren Gedanken. Sie ist wie benommen. Es klingelt ein zweites Mal. Sie geht langsam zur Tür und öffnet. Da steht er vor ihr. Alt ist er geworden. Seine Haare sind grau und schütter. Sein Blick unsicher. Sie schauen einander an. Wortlos. Regungslos. Eine kleine Ewigkeit lang. Dann geht sie einen Schritt zur Seite, lächelt leicht und sagt: „Komm doch rein.“ „Mutter, ich…“, ihm versagt die Stimme. „Schön, dass du da bist“, sagt sie. „Ich habe Dich vermisst!“

An diesem Nachmittag sitzen sie lange zusammen. Es gibt viel zu erzählen. Doch die Worte kommen beiden oft nur schwer über die Lippen. Zu groß ist die Angst, den Anderen nochmal zu verletzten. Beide sind bemüht, einander nicht noch einmal zu verlieren. Beim Abschied sagt sie ein wenig verlegen: „Übrigens, wenn Du Geld brauchst…für Deine Firma oder sonst…“. – „Nein, Mama. Ich hab´alles, was ich brauche. Danke“, antwortet er mit einem scheuen Lächeln. Dann umarmen sie einander. Erst ein wenig unsicher. Dann drücken sie sich lange und fest. Fast so, als ob sie einander versichern wollten: Wir lassen uns nie mehr los! Wir halten aneinander fest, unbedingt. Und beiden ist es warm ums Herz.