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Gott macht es mir leichter mit mir

„Och Mensch, ich hab‘s gerade echt schwer mit mir“, sagt die 15jährige Patientin, die mit gebrochenem Bein bis nach der Operation im Krankenhaus bleiben muss. Sie hat ein Gespräch mit mir, der Klinikseelsorgerin, gewünscht: „Zuhause, da sind meine Geschwister und Eltern schuld an schlechter Laune und mieser Stimmung, aber hier habe ich nur mich – und trotzdem schlechte Laune! Können Sie da nicht was dran machen?“

„Klar“, antworte ich lachend, „ich könnte ja einfach schuld sein.“

Da lächelt das Mädchen: „Schön wär‘s!“

Wir unterhalten uns eine Weile darüber, wie schwierig es ist, wenn man merkt, dass man einfach niemandem die Schuld in die Schuhe schieben kann und man dann mit sich selbst klarkommen muss. Das Bein brach bei einem Fahrradsturz: Fahrt durch den Wald auf nasser Strecke, natürlich hatten die Eltern vorher schon gewusst, wie gefährlich das sein könnte. Hm, macht auch grad gar keinen Spaß, denen vielleicht Recht geben zu müssen. Jetzt sind die Ferien vorüber und man liegt hier rum, kann nichts mit Freunden machen.

„Ach ja“, sagt sie am Ende ihrer Aufzählung. Das Schlimmste ist eigentlich nicht mehr der Beinbruch, sondern ihre Selbstvorwürfe. „Sie sind doch die Seelsorgerin. Sie haben doch Ahnung von Gott, vielleicht könnte ich dem ja die Schuld geben. Der hätte das doch auch anders machen können, dass ich nicht falle über die Baumwurzel und mir eben nicht das Bein breche!“

„Nö, die Freiheit der Entscheidung zum Fahrradfahren nimmt Gott Dir nicht eben mal ab. Trotzdem, ich glaube schon, dass Gott mit Deinem gebrochenen Bein und Deiner schlechten Stimmung etwas zu tun haben könnte.“

Ihr Blick fragt mich, ob ich mich vielleicht vertan hätte. „Weiß‘de, ich bin jetzt auch nicht die Besserwisserin betreffs Gott, aber ich kenne Geschichten von Gott und den Menschen, da macht Gott eins mal auf keinen Fall und das sind Vorwürfe. Jesus ist Menschen immer ohne Vorwurf begegnet, auch wenn es so Leute waren, die offensichtlich an allem selbst schuld waren: ein Zöllner zum Beispiel- zu viel Geld genommen, sich unbeliebt gemacht, ausgegrenzt, zornig geworden, weil sie keiner mochte, dann einsam geworden und Jesus sagt: Komm doch, ich will bei Dir zu Gast sein, mit Dir essen. Als wüsste er davon nicht. Das hat dem Zöllner so richtig gut getan, dass da einer genau ihn meinte – ihn, der doch einfach an allem selbst schuld war. In der Begegnung ohne Vorwurf spürte er die Freiheit, die Gott ihm gab, sogar die Freiheit, es in Zukunft anders zu machen im Leben, ohne Betrug und ohne Zorn auf alle Welt.

„Ja, klar. Das soll mir jetzt was nützen. Gott hätte es einfach verhindern sollen, dass ich mir das Bein breche.“

„Ist nicht. Gott schenkt Dir die Freiheit, selbst vorsichtig oder wagemutiger zu sein. Du bist eben gern wagemutig beim Fahrradfahren. Nur: Gott wirft Dir Deinen Mut nicht vor. Gott sieht Dich an und möchte, dass Du Deine Freiheit trotz gebrochenem Bein spürst: Du bist so ein mutiges junges Mädchen. Ok, jetzt liegst Du erstmal im Bett, aber mutig bist Du und das könnte Dich eigentlich gut gelaunt sein lassen. Du brauchst es ja nicht falsch zu finden, dass Du losgefahren bist. Du brauchst auch Deine Eltern nicht doof zu finden, weil die eh immer alles besser wissen. Vielleicht sind sie einfach nicht so mutig wie Du. Und Deine Freunde kommen Dich doch hier besuchen, sie finden vielleicht gar nicht, dass Du selber schuld bist, wenn die Ferien rum sind, ohne dass ihr miteinander woanders wart. Könnte das sein?“

„Hm, kann sein. Finden Sie mich denn mutig?“

„Ja, ich auf jeden Fall. Ich bin froh, wenn ich auf der Straße unfallfrei mit dem Fahrrad durchkomme. Im Wald kann ich höchstens zu Fuß gehen. Allerdings glaube ich, Gott könnte Dir diese Pause von Deinen Ferienplänen gönnen, damit Du ein starkes Gefühl für Dich und Deinen Mut gewinnst: du selbst! Gott möchte es Dir leichter mit Dir machen.“

„Ja“, sagt sie, „ja, so‘n Gott find ich gut: Einer, der es mir leichter mit mir macht. Kann ich brauchen.“

Als ich das Mädchen verlasse, hat sich ihr Lächeln in mir festgesetzt.