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Gnade

„Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“.

Ok, für den Satz sind fünf Euro ins Phrasenschwein fällig.

„Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, ist bald verwitwet.“

Noch mal fünf Euro.

Obwohl, irgendwie sind ja beide Sätze richtig.

Wer krampfhaft an Vergangenem festhält, nicht offen ist für Neues, hat keine Zukunft.

Wer sich allem Neuen anbiedert, nicht weiß, woher er kommt und was es zu bewahren gilt, läuft in die Irre.

Als vor über 500 Jahren der Theologieprofessor Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg nagelte, da ging es ihm genau darum: Notwendige Veränderung der Kirche, um zu bewahren, was nicht verloren gehen darf: Dass Gott mich annimmt. Das kann ich nicht kaufen oder mir sonstwie verdienen. Muss ich auch nicht. Das tut Gott allein aus Gnade.

Unsere Zeit erstickt an einem Mangel an Gnade. Gnadenlose Kriege, gnadenloser Terror. Gnadenloser Hass. Gnadenloses Leute-Niedermachen in den sozialen Netzwerken.

Auch in meinem persönlichen Umfeld höre ich immer öfter Sätze, deren gnadenlose Härte mich erschreckt. Gegen Flüchtlinge. Gegen Menschen, die anders leben und lieben. Gegen Umweltaktivisten.

Natürlich kann man in diesen und anderen Fragen verschiedene Positionen vertreten. Nur, und das ist mein Gebet an diesem Reformationstag: bitte niemals gnadenlos sein. Gott ist es auch nicht.