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Gerechtigkeit

 

„Bitte schenke mir nichts mehr“, sagt mir eine langjährige Freundin am Telefon. „Ich kann mich ja nicht revanchieren.“. Einladungen nimmt sie nicht mehr an, weil sie die Fahrt nicht finanzieren kann. „Es macht mir nichts aus, die Fahrkarte zu zahlen“, sage ich, weil ich mir das leisten kann und ich mich freuen würde, wenn sie zu meinem Geburtstag käme. „Ich will keine Almosen. Und ich kann das nicht zurückzahlen,“ sagt sie und bleibt dabei. Sie schickt mir eine Karte.

Sie wurde arbeitslos, weil sie in der Nähe ihrer alten Eltern bleiben wollte. Sie hat das Auto aufgegeben, ist in einen Stadtteil mit günstigem Wohnraum gezogen. Eine Umschulung wurde abgelehnt mit Hinweis auf ihr Alter. Sie engagiert sich ehrenamtlich.

Mit meiner Freundin erlebe ich am eigenen Leib, welchen Zerreisproben Beziehungen ausgesetzt sind, weil sich Einkommensunterschiede vergrößern. Weil sich der soziale Status ändert. Das Wohngebiet, die Frisur – sie schneidet sich die Haare nun selbst, die Kleidung, die Mobilität, die Freizeitaktivitäten … Ich erlebe, dass es für den Selbstwert meiner Freundin wichtig ist, einer bezahlten Arbeit nachgehen zu können oder aufgrund gesetzlicher Regelungen ein Recht auf finanzielle Mittel zu haben, mit denen sich mehr als das nackte Überleben sichern lässt.

Wie ihr geht es vielen Menschen. Das erlebe ich Tag für Tag bei meiner Arbeit in der Diakonie.

Arbeit und Verantwortung müssen sich lohnen – ja. Wenn aber Menschen aus unterschiedlichen Gründen keinen Arbeitsplatz finden – ich denke an die Veränderungen zum Beispiel in der Automobilindustrie – wenn die Unterschiede zu groß werden, dann ist der Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet.

In der Bibel gibt es das Bild des Körpers, der aus verschiedenen Teilen besteht, aber doch eins ist. Hand, Auge, Mund, Kopf und Füße haben eigene Funktionen und Fähigkeiten und brauchen sich doch gegenseitig. Es geht um die kluge Gestaltung von Beteiligung und Lastenverteilung – auch in unserem Zusammenleben.