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Gegen das Vergessen

Heute ist ein Tag des Gedenkens und des Erinnerns. Vor 78 Jahren begannen in Deutschland die sogenannten Novemberpogrome. In den Nächten vom 9. bis zum 13. November 1938 wurden in Deutschland, Österreich und im Sudetenland über 1500 Synagogen und Bethäuser von den Nazis entweiht, verwüstet und verbrannt. Nazis und ihre Helfer brachen in tausende jüdische Geschäfte und Wohnungen ein. Sie wüteten auf Friedhöfen und terrorisierten hunderttausende Menschen. 30 000 Juden wurden in Konzentrationslager verschleppt und dort wochenlang misshandelt. Viele von ihnen starben daran.

Heute, am 9. November, gedenken wir dieser Menschen. Das ist umso notwendiger, als in unserem Land der Hass auf Menschen anderer Herkunft und anderen Glaubens allmählich immer stärker wird. Keine achtzig Jahre nach den Pogromen der Nazis brennen in Deutschland Wohnheime für Asylsuchende. Menschen treten öffentlich auf, um in unserem demokratischen Rechtsstaat gezielt Stimmung zu machen gegen Menschen anderer Herkunft.

Wie können wir mit unserem Gedenken verhindern, dass Menschen wieder sinnlos zu Opfern werden? Mir fällt ein Satz aus dem Talmud ein, dieser Sammlung rabbinischer Lehren und Auslegungen des Alten Testaments: „Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung“, heißt es dort. Das Volk Israel wird im Alten Testament immer wieder aufgefordert zu gedenken: an den Gott, der sie durch schwere Zeiten hindurch getragen hat. Damit die tröstliche Kraft der Gerechtigkeit  nicht verloren geht. Dann heißt gedenken auch:

Darüber zu erschrecken, wie schnell Menschen schuldig werden. Damals wie heute, aus Gedankenlosigkeit, aus Egoismus, aus Angst. Gedenken heißt: Das Leiden der Opfer sehen. Um die trauern, die sterben mussten. Wahrnehmen, wie die Folgen der Grausamkeiten auch die Kinder und Kindeskinder zeichnen. Gedenken heißt auch: trotz Scham wagen die Wahrheit auszusprechen. Gedenken wird fruchtbar, wo wir dann neue Wege der Begegnung suchen. Im gemeinsamen Hören auf die Glaubenstradition des anderen. Und auch im gemeinsamen Eintreten für die Würde eines jeden Menschen als Ebenbild Gottes.

Die Kraft für diese biblische Art des Gedenkens und den Segen, den sie mit sich bringt – das wünsche ich uns allen. Heute und in Zukunft.