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Geduld und Ungeduld

Schon seit Jahrzehnten schleppe ich sie mit mir rum: Die Worte über Geduld und Gelassenheit aus den Sprüchen Salomos:

„Wer geduldig ist, der ist weise; wer aber ungeduldig ist, offenbart seine Torheit“. (Sprüche Salomos 14, 29).

Sie sind in meinem Lebensgepäck, ohne dass ich mich erinnere, wann ich sie zum ersten Mal gehört oder gelesen habe. Aber inzwischen habe ich das Gefühl, ich schleppe sie sinnlos mit mir herum. Ich bin mit den Jahren nicht geduldiger oder gelassener geworden, wie ich es mir doch gewünscht habe. Auch nicht im vergangenen Jahr. Ich kann Geduld spielen, wenn es nötig ist. Ja, das kann ich. Ich sage mir: Bleib ruhig! Aber die Ruhe ist nicht in mir. Ich ziehe sie an wie ein Kleidungsstück. Eine wirkliche Haut ist sie mir nicht. Irgendwann ziehe ich das Kleid wieder aus und offenbare meine Torheit. Meistens, wenn ich daheim bin. In der Familie bin ich unbeherrscht. Die mit mir zusammen wohnen, schreie ich an: Beherrscht euch doch mal! Immer wieder scheitere ich an meinen eigenen Ansprüchen.

Wie das junge Paar. Sie sind im Urlaub. Sie wollen Abendbrot essen. Am liebsten in dem Gartenrestaurant am See. Sie nehmen Platz, aber die Kellnerin lässt auf sich warten. Der Mann steht auf und sagt: Komm, wir gehen woanders hin!

Die Gaststätte, die sie nun betreten, ist voll. Der Kellner bittet sie in den Vorraum auf einen Drink. Warten sie doch hier einen Moment, gleich wird ein Tisch frei, sagt er. Zehn Minuten später – die Frau nuckelt noch an ihrem Drink -springt der Mann auf und sagt: Los, jetzt gehen wir! Sie will nicht und sagt: Woanders müssen wir auch warten! Aber er ist schon draußen.

Im dritten Lokal finden sie zwar Platz, aber sie müssen sich einen Tisch mit anderen Gästen teilen. Die Kellnerin eilt hierhin und dorthin und sagt zwischendurch: Ich komme gleich! Aber es dauert.

Nach einer kleinen Weile steht der Mann abrupt auf und geht wortlos hinaus. Sie bleibt sitzen. Er kommt zurück und sie sagt: Ich will jetzt hier essen! Da sie das Geld eingesteckt hat, fordert er: Dann gib mir Geld, damit ich woanders essen kann. Sie wirft ihm das Portemonnaie an den Kopf und stürzt hinaus. Sie läuft und läuft, bis sie merkt, dass er ihr folgt. Da läuft sie noch schneller, aber er holt sie ein. Lange gehen sie wortlos nebeneinander her. Später sitzen sie auf ihrem Bett im Hotelzimmer und trinken Wasser. Der Abend hätte schön werden können. Ungeduld hat ihn zerstört. Welche Torheit! Wäre der Mann geduldig gewesen, wäre Vieles besser gelaufen. An diesem Abend. An einem anderen hätte die Sache schon ganz anders aussehen können. Denn genauso wenig, wie Ungeduld immer schlecht ist, ist Geduld immer gut.

Ein Sprichwort sagt: Mit Geduld fängt man eine Mücke. Die Ungeduldigen wollen aber nicht bloß Mücken, sie wollen größere Tiere. Wollen mehr vom Leben. Die Geduldigen verändern nichts, wohl aber die Ungeduldigen. Wie war das doch, als Jesus den Tempel gereinigt hat? Zornig hat er da die Geißel geschwungen, ungeduldig hat er die Tische der Händler umgestoßen.

Geduld hat ihre Zeit im Leben, Ungeduld aber auch. Geduld immer und überall ist genauso wenig weise wie andauernde Ungeduld. „Sie ist ein geduldiger Mensch“, sagen wir manchmal. Ich finde, das ist ein schlechtes Urteil, weil ich daraus höre: Sie lässt alles über sich ergehen. Sie muckt nicht auf.

Aber ebenso wenig würde mir gefallen, wenn andere über mich sagen: Sie ist ein ungeduldiger Mensch. Denn dieses Urteil sagt mir: Du gehst mit dem Kopf durch die Wand. Du nimmst die anderen nicht ernst.

Ich denke, derjenige muss weise genannt werden, der sich der Situation angemessen verhält. Der fragt: Ist es jetzt besser geduldig oder gelassen zu sein oder hilft nur Ungeduld und Heftigkeit weiter? Ich möchte gerne so sensibel werden, dass ich häufiger spüre: Was hilft jetzt in diesem Moment? Was ist notwendig, um den anderen nicht zu überrennen? Für dieses Jahr habe ich mir vorgenommen, mich darin  zu üben.