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Friedrich Silcher: Musikpädagoge aus Leidenschaft

Auf dem Tübinger Stadtfriedhof liegt er begraben: der Musikpädagoge und Komponist Friedrich Silcher. Gestorben ist Silcher 71-jährig am 26. August 1860, also heute vor genau 157 Jahren. In ganz Schwaben gibt es kaum einen Ort ohne Silcher-Straße, -Schule oder -Kindergarten. Betrachtet man Fotos von der Einweihung des schmucken Silcher-Museums in Schnait bei Stuttgart im Jahre 1912, staunt man über die Heerscharen von Menschen, die damals dabei waren.
Heute kann man selbst bei Einheimischen nicht ohne weiteres sicher sein, dass sie Silcher kennen. Der Groschen fällt jedoch spätestens, wenn man einige seiner Lieder aufzählt: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ oder „Muss i denn zum Städtele hinaus“ oder den Beerdigungsklassiker „So nimm denn meine Hände“.

Zugeben: Manch einer denkt dabei zunächst an betuliche Volkslieder oder schnulzigen Kirchengesang. Der Zugang zu diesen Liedern fällt daher nicht immer leicht. Schaut man jedoch auf die Anfänge und dabei besonders auf die Person Friedrich Silchers, kann sich das schnell ändern. Dann entdeckt man eine Begeisterung für die Ideen der Reformpädagogik Pestalozzis, ein ganzheitliches Erziehungsprinzip mit „Kopf, Herz und Hand“. Musik und Gesang sollten den Intellekt, die „sittlich-religiösen“ Kräfte und die praktischen Fähigkeiten der Kinder und Erwachsenen stärken – so die Vision des jungen Dorfschullehrers und späteren Tübinger Universitätsprofessors Silcher. Musikalische Erziehung ist für Silcher kein Selbstzweck gewesen, ihm ist es um Volksbildung und um Herzensbildung gegangen. Auch gesellschaftspolitisch war das Singen damals, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, durchaus bedeutsam: Die von Silcher geförderte Sängerbewegung hat Liedertafeln und Gesangsvereine hervorgebracht, die nicht selten von fortschrittlich-liberalen Bürgern dafür genutzt worden sind, politische Betätigungsverbote zu unterwandern.

Friedrich Silcher soll ein freundlicher, bescheidener Mensch gewesen sein, der als Lehrer eine natürliche Autorität ausgestrahlt und  Vertrauen und Anerkennung genossen hat. Das Unterrichten ist dem Spross einer 9-köpfigen Lehrerfamilie in die Wiege gelegt worden. Die Familie hat im oberen Stockwerk des Schnaiter Schulhauses gewohnt. In den engen, dunklen Schulstuben im Erdgeschoss hat Silcher als Bub zusammen mit 200 Kindern des Dorfes das Lesen, Schreiben, Rechnen und Kirchenliedersingen gelernt. Um selbst Lehrer zu werden, ist er mit 14 Jahren beim Schulmeister in einem Nachbardorf in die Lehre gegangen. Nach ersten Jahren als Dorfschullehrer war es Zeit für den begabten jungen Mann, zum „Städtele hinaus“ zu ziehen. Sein akademischer Weg hat ihn dann über Ludwigsburg und Stuttgart nach Tübingen geführt.

Als Musiker und Pädagoge hat Friedrich Silcher Einfluss genommen auf die musikalische Bildung der Menschen. Das Singen und Musizieren ist mit ihm von den Kirchen, Klöstern und Adelshöfen in die Gaststuben und auf die Festwiesen gekommen. Silcher hat Volkslieder gesammelt und mehrere hundert Werke der Kirchen-, Jugend- und Hausmusik geschaffen. Bei den Proben der „Tübinger Akademischen Liedertafel“, die er selbst jeden Dienstag Abend geleitet hat, sind die Sänger locker um den Tisch gesessen, während er sie am Klavier begleitet hat. Das Singen in Laienchören – zu Silchers Zeiten sprach man von „Dilettanten-Chören“ – hat sich mit ihm zu einer echten Bewegung entwickelt.

Nach einer Flaute in den letzten Jahren ist die Chorszene wieder quicklebendig. Auf andere Weise natürlich als zu Silchers Zeiten: pfiffige Projektchöre, Oldie-Chöre, Beschwerdechöre, schwul-lesbische Chöre, interkulturelle Chöre bringen Farbe in das weite Feld der klassischen Chormusik. Auch die Kirchenchorszene ist mit ihren Gospelchören bunter und vielfältiger geworden.

Friedrich Silcher, dem schwäbischen Musiker, Komponisten und pädagogischen Erneuerer, der heute vor 157 Jahren gestorben ist, hätte das sicherlich gefallen.