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Friede, der begeistert

(wegen Erkrankung des Autors gelesen von Jörg Metzinger)

Sonnenlicht fällt durch ein frischgrünes Blätterdach auf die letzte Tulpen­blüte. Es ist Anfang Mai im Blumengarten an der Kreuzkapelle in Forbach, gleich hinter der fran­zösischen Grenze. Jetzt blüht auch die riesige Kastanie auf dem Vorplatz.

Ein Ehepaar tritt aus der niedrigen Pforte und die Spur von Frieden in ihren Gesich­tern er­zählt: ihr Gebet hat ihnen gutgetan. Drinnen, im Halbdunkel des alten Gewölbes, sind sie zur Ruhe gekommen, ha­ben die Stille in ihr Herz gelassen. Hier auf dem Vor­platz unter der Kastanie haben sie Zeit, um sich wieder an das Licht des Tages zu gewöhnen. Auto­bahnge­räusche dringen den Hang hinauf und erinnern an Alltagskämpfe des Lebens. Aber dass selbst die Autobahn den Frieden um das alte Gemäuer nie ganz zerstören konnte, das ist Teil seines Geheimnisses. Hier ist ein Friedensort bis auf den Tag.

Die Kreuzkapelle von Forbach, auf Französisch: „Chapelle Sainte Croix“, 800 Jahre soll sie be­reits stehen. Sie war Wehrturm und Jakobswegstation, Zuflucht in Pest und Revolution. Or­densschwestern sorgten für die Gott suchen­den Menschen. Sie wurden vertrieben. Sie kehrten zurück. Im Krieg wie auch in Friedenszeiten sind Alt und Jung hier hinaufgekom­men. Der stete Strom hat bis heute nicht aufgehört. Ja seit Mitte Februar suchen sogar deutlich mehr als sonst einen Augenblick des äußeren und inneren Friedens. Seit Mitte Feb­ruar. Seit in Europa Panzer rollen, Raketen fliegen und Menschen aufeinander schießen.

„Was ist denn am Frieden dran, dass er nicht auf Dauer begeistert?“ Das hat der Lyriker Pe­ter Handke einst in Wim Wenders Film ‚Der Himmel über Berlin‘ gefragt. Im Film war es die verzweifelte Frage eines greisen Erzählers, der um Verstehen ringend über das Trüm­mer­feld des Potsdamer Platzes im zerteilten Berlin stolperte. In diesen Tagen könnte er über die zer­störten Plätze Mariupols stolpern und seine Frage wiederholen: „Was ist denn am Frieden dran, dass er nicht auf Dauer begeistert?“

Morgen jährt sich die Befreiung Europas vom Regime der deutschen Naziherrschaft zum 77. Mal. Am 8. Mai 1945 war die mit Abstand leidvollste Katastrophe beendet, die unser Konti­nent je erleben musste. Schmerzen, die nicht in Zahlen zu fassen sind. Zig-millionenfaches Sterben.

„Nie wieder Krieg!“ In meiner Jugend konnte ich diese Formulierung noch häufiger hören. Das klang zwar auch nicht nach Begeisterung durch Frieden, aber immerhin doch nach dem Wissen um das Leid, das der Krieg über Land und Menschen bringt. Als ich erwach­sen wurde, verstummte das ‚nie wieder Krieg‘. Es gab schließlich neue europäische Kriege beim Zer­fall des Staates Jugoslawien. Und heute? Wir rüsten von Neuem auf.

Es geht hier nicht darum, den Sinn militärischer Verteidigung zu diskutieren. Der 8. Mai wurde auch erkämpft. Es geht darum, gerade heute die Gegengeschichte zum Kriegslärm zu erzählen. Die Geschichte von Friedensdankbarkeit, Friedensbegeisterung und in diesen Ta­gen besonders – Friedenssehnsucht. Damit die Kinder von heute nicht morgen ihre Stimme den Verführern geben, oder einer Verführerin.

Seit dem 8. Mai 1995, seit über 25 Jahren, lädt eine Initiative dazu ein, an die Kreuzkappelle in Forbach zu kommen, um miteinander für den Frieden zu beten. Ihr Gebet ist vielsprachig in Französisch und Deutsch, Hebräisch, Arabisch, manchmal sogar in Japa­nisch. Es kommen Jüdinnen und Juden, muslimische, christli­che, buddhistische Gläubige. Auch Menschen ohne Religion. Sie treffen sich an einem Frühlingssonntag, um über alle Grenzen von Natio­nalität, Religion, Sprache und Kultur hinweg das Zu­sammenleben zu fei­ern. Und das alles gar nicht weit der Spicherer Höhen, wo einst sogenannte ‚Erbfeinde‘ aufeinander schos­sen.

Das Gebet von Forbach ist meine Geschichte eines Friedens, der begeistern kann. Sie wird auch dieses Jahr erzählt, am 12. Juni, um 18 Uhr, auf dem Vorplatz der Chapelle Sainte Croix.